Charlotte Haeckel an Agnes Haeckel, Berlin, 8. Juni 1872

Berlin 8/6 72.

Liebe Agnes!

Du hast mir eine große Freude gemacht durch Deinen Brief, der mir ja, Gott sei Dank, von meinen Jenaer Kindern Gutes berichtet. Hoffentlich geht es Eueren Freunden auch besser.

Ich war vorgestern in Berlin, um für Karl einiges zu besorgen, und Bertha hatte gebeten: ich möchte doch zu Mittag kommen, da Herrmann Bleek Mitwoch Abend kommen würde. Ich fuhr nun schon um 9 Uhr, besorgte erst einiges und war || dann zu Mittag bei Bertha, wo ausser Hermann Bleek noch Heinerich, Gertrudchen, Helehne, Clärchen Jacobi und Aug. Sack waren. Ich fand Bertha besser als ich erwarttet, sie klagt nur über Mattigkeit. Heinerich war auch noch nicht zufrieden mit seinem Befinden, ich fand sein Aussehn gut. Heinerich hat von 8ten July an Urlaub, und denkt dann nach Teplitz zu gehn, hoffentlich wird das die Gliederschmerzen vertreiben. || Jacobis waren vorigen Sonntag bei mir zu Mittag, sie hatten sich angemeldet. –

Donnerstag nach Tisch, es wurde bei Bertha erst um 3 Uhr gegessen, wollte die ganze Gesellschaft nach dem Zoologischen Gartten fahren, und wenn ich auch schon seit Jahren nicht mehr dort war, so konnt ich es meinen Kräften doch nicht zumuthen, ging daher schon um 5 Uhr wieder her. Dabei muß ich Euch noch berichten, daß es Max Sack im Zoologischen Garten nicht gut gegangen ist, er hat dort einen Arm durchs Gitter gesteckt, und den Elephan-||ten geneckt, wie er schon öfter gethan, der Elephant faßt ihn mit dem Rüssel, und drückt den Arm so am Stab, daß ein Knochen bricht; es soll kein schlimmer Bruch sein, und in diesen Tagen der Gipsverband angelegt werden. Du kannst nur Deinem Herrn und Gebieter sagen, da könne er sehn, daß seine Mutter nicht ohne Grund immer gegen das Necken der Thiere sei –

Weder Du noch Ernst erwähnen in ihrem Briefe etwas von || Karl, hoffentlich geht es unserem Studenten doch gut. Wie sehr es mich beglückt, daß es unserem Karl in Ems besser geht, könnt Ihr denken. Mich hat auch ein Ausspruch Quinkes sehr beruhigt, der glaubt der ganze Zustand sei hervorgerufen durch eine Arzenei, die Karl genommen, und die sonst sehr gut gegen Schlafloosigkeit sei, aber manche Naturen vertrügen es nicht und dann erzeuge es die Nervenreizbarkeit. Quincke hat das an Bertha gesagt, und hinzuge-||setzt: wir könnten ganz ruhig sein, es würde ohne weiteren Nachtheil vorüber gehn. Ich hatte mich furchtbar gegrämt, denn Karl schlich nur wie ein alter Mann, und sah zu elend aus. Dich, lieber Ernst, wird es noch interessieren, daß Deine Schwiegermutter ihr kleines Haus in Heringsdorf verkauft hat. –

Herrn Joachim habe ich die mir überschickte Staatsanleihe übergeben zur Einlösung, und ich werde a Dir || gerne die Geldangelegenheiten besorgen, wenn ich von Herrn Reimer das Honorar erhalte. –

Du schreibst, liebe Agnes, nichts von Deiner Mutter; hoffentlich ist sie doch wohl oder ist sie im Bade? – ich freue mich auch sie nach so langer Zeit wiederzusehn, wenn ich zu Euch komme, worauf ich hoffe. – Freilich werde ich durch meine Schwärfälligkeit Euch lästig sein; es thut mir bange, daß ich nicht mehr leisten kann, ich komme mir oft vor wie ein Hemmschuh. – ||

Die Kinder hier sind gesund, hoffentlich bleiben sie es auch. –

Grüsse Deine liebe Mutter, Clara und Karlchen herzlich von mir, und Euch Lieben mit den beiden kleinen Putz umarmt in Gedanken

Euere

alte Mutter

Lotte.

a gestr.: es

Brief Metadaten

ID
36477
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
08.06.1872
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
14,1 x 22,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36477
Zitiervorlage
Haeckel, Charlotte an Haeckel, Agnes; Berlin; 08.06.1872; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_36477