Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Agnes Haeckel, Berlin, 3. April 1871

Berlin 3/ 4 71.

Liebe Agnes!

Herzlichen Dank für den so sehnlich erwartteten und heute erhaltenen Brief; der mich wenigstens in Beziehung auf Dich und unser kleines Mädel etwas beruhigt. Ich kann Dir gar nicht sagen mit welch banger Sehnsucht ich auf Nachricht von unserm Ernst und von seinen Lieben gewarttet habe. Leider hast Du auch noch keine Nachricht von Ernst. –

Etwas besser scheint es Dir doch zu gehn, denn sonst wäre Deine liebe Mutter nicht weg gegangen, und doch kann ich mir den-||ken, daß sie sich wieder nach ihrer Häuslichkeit gesehnt hat. Müssen wir doch dankbar froh sein, daß sie Dich solange gepflegt hat. Wie leid thut es mir aber, daß Du, meine liebe Agnes, noch oft so viel Schmerzen hast; aber fasse nur guten Muth, solche Zeiten der Prüffung kommen in jedem Menschenleben; und wenn sie glücklich überstanden sind, erkennt man um so dankbarer das Gute, was uns im Leben geworden. So schwer es Dir auch jetzt Anfangs werden mag, || daß Du wieder allein für Dich, Deine Kinder und den Hausstand sorgen mußt, so ist Dir es doch vielleicht gut, und bringt Dich mehr über die Krankheit weg. Denke nicht, mein liebes Kind, ich sei hart in dieser Ansicht; nein ich spreche nur aus eigener Erfahrung, in frühern Jahren war ich viel krank, und manichmal war mir, als sei es nicht möglich, daß ich das Geringste leisten könne, und doch ging es mit festem Willen, freilich muß man da immer tapfer mit sich selbst kämpfen; || aber durch dies Ringen und Kämpfen erhalten wir auch immer mehr Kraft. –

Wenn es nur erst besseres Wetter wird, daß Du an die Luft kannst, das wird Dich stärken. Gott erhalte Euch die Kinder; sag nur Walterchen seine alte Großmutter in Berlin sehne sich sehr darnach: ihn mit seinen Eltern und Schwesterchen hier in Berlin zu sehn. –

Am vorigen Sonnabend waren Karl und Clara mit der kleinen Marie bei uns zu Mittag, wir hatten Ernst Naumann, Frau || Weiß und Herrn Buchhändler Müller dazu gebeten. Ernst Naumann sieht entsetzlich elend aus, und scheint auch noch viel Schmerz zu haben. Karl sagte mir auch, daß wir von Ernst jetzt nur selterer [!] Briefe erhalten könnten.

Hoffentlich bekommen wir bald Nachricht. Nachmittags kam der Enkel Karl aus Freienwalde hier an, und fuhr Abends 8 Uhr wieder mit den Eltern nach Potsdam. Es ist aber eine wahre Freude wie gesund und frisch der Junge aussieht. Möge es so fort gehn. – ||

Vater hält sich im Ganzen gut, Husten und Schnupfen die ihn schon lange quällen, scheinen doch nicht mehr so schlimm zu sein, das böse Wetter fesselt ihn zu seinem Verdruß ans Zimmer, heute haben wir in der Mittagszeit eine leidliche Stunde erhascht und sind spazieren gefahren. Recht schwer war mir die vorige Woche: ausser die Herzensangst um Dich, Ernst und die kleine Emma, traf noch so viel Schweres im Hause || für mich zusammen, wo noch viel zu überwinden sein wird; nun mit Gottes Hülfe muß ja auch das getragen werden. –

Bertha zieht heute in ihre neue Wohnung, bei dem schlechten Wetter ist es gut, daß es nicht weit ist; sie hat keine Wohnung nach ihrem Wunsch bekommen und nun nur eine kleine in dem Hause, wo Julius wohnt, auf ½ Jahr genommen um ihre Sachen unterzubringen, da sie denkt den Sommer auf längere Zeit zu verreisen. –

Julius erwarttet || morgen früh die Sobernheimer. Meiner Schwester Auguste geht es besser. –

Gott gebe, daß es unserm Ernst gut gehn mag, er hat ja schon so vieles glücklich überstanden, und so wollen wir mit Zuversicht hoffen, daß er auch diesmal gesund und frisch heimkehre, und dann seine Frau und Kinder gesund finde.

Die Bitte uns bald Nachricht von Ernst zu geben, wenn Du welche bekommst, brauche ich Dir wohl nicht erst auszusprechen. Deine

alte Mutter Lotte.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
03.04.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36401
ID
36401