Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Adelheid von Bassewitz, Berlin, 17. Februar 1864

Verehrteste Frau Ober Präsidentin!

Es hat mich schon längst gedrängt, mich Ihnen auf irgend eine Art mitzutheilen. Leider ist ein großer Unglücksfall in meiner Familie die Veranlaßung, daß ich mein Schweigen breche. Ich habe gestern meine Schwiegertochter in Jena verloren. Sie ist nach wiederholten Anfällen einer Brustfellentzündung nach einer äußerst glücklichen, knapp 1½ jährigen Ehe unterlegen. Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, welchen ungeheuren Eindruck dieser Todesfall auf mich macht. Ich sehe mich auf Einmal auf einige Vierzig Jahr zurückversetzt, wo mich Armen daßelbe Unglük traf. Alle die Leiden, die ich in den ersten Jahren meines Verlustes durchzumachen hatte, stehen aufs lebhafteste vor mir, denn nun ist am eigenen Sohn die Reihe, sie ebenfalls durchzumachen. In Ihrem Hause, in Ihrer Familie habe ich diese Trennungszeit durchlebt. Wohl habe ich sie überwunden und Gott hat mich später wieder mit einer trefflichen Frau beglückt, welche Sie, theuerste Freundin, mir zugeführt haben. Alles Gute und Schöne, was in meinem Innersten in dieser Zeit der Leiden keimte, hat meine theure Lotte durch ihren sittlichen religiösen Geist, das Vorbild meines Lebens in mir entwikelt und so ist jener Verlust und jener ungeheure Schmerz zu meinem Segen ausgeschlagen. Aber was wird nun mein theurer Ernst, deßen Temperament dem meinigen sehr ähnlich ist, durchzumachen || haben! Wir haben die verstorbene Schwiegertochter ungemein lieb gehabt, ihr ganzes Wesen war voller Offenheit und Wahrheit und Liebe gegen uns und ich kann mir noch gar nicht meinen Ernst ohne sie denken. Ich reise Morgen auf unserer Bahn nach Jena. – Den ganzen Winter durch habe ich hier meinen Ernst besuchen wollen. Aber schlechtes Wetter, Kälte und Collegienbesuch waren Ursach, daß ich meinen Besuch verschob. Dazu das zunehmende Alter, durch welches man immer immobiler wird und in welchem man das tägliche Gleis nicht gern verläßt. Meine Frau ist schon gestern Abend nach Jena gereist, hat aber die liebe Verstorbene nicht mehr lebend gefunden.

Ich denke mehrere Wochen in Jena zu bleiben, um meinem Ernst innerlich durchzuhelfen und denke nach meiner Rükkehr Sie dann persönlich zu besuchen.

Ihr

unveränderter alter

Freund Haeckel.

Berlin 17. Febr. 64

Ich habe in diesem Winter wörtlich und wirklich täglich an Sie gedacht.

 

Letter metadata

Datierung
17.02.1864
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 32018
ID
32018