Das Projekt

Der Zoologe, Darwinist, Wissenschaftspopularisator, Kirchenkritiker, Monist und Philosoph Ernst Haeckel (1834-1919) war einer der bekanntesten und zugleich umstrittensten Naturforscher seiner Zeit. Seine außerordentlich umfangreiche und thematisch breit gefächerte Korrespondenz ist einer der zentralen und aussagekräftigsten Quellenkomplexe für die Geschichte der Biowissenschaften von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins beginnende 20. Jahrhundert hinein. Darüber hinaus gewährt sie wesentliche Einblicke in seine Publikations- und Forschungstätigkeit, erschließt Material zu seinen Reisen und gibt Auskunft über das Netz seiner familiären, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontakte und dokumentiert insgesamt in einzigartiger Weise seine wissenschaftliche, kulturelle und weltanschauliche Wirkung.

 

Überlieferung

 

Das Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses beherbergt den nahezu kompletten persönlichen und wissenschaftlichen Nachlass Haeckels. Dazu gehören Manuskripte, Vorlesungsexzerpte, Zeichnungen, Aquarelle, Visitenkarten und Lebenszeugnisse aller Art. Daneben gibt es eine umfangreiche Porträt- und ethnographische Fotosammlung, Zeitungsausschnitte der von Haeckel beauftragten Pressebüros mit weltweiten Artikeln von und über Haeckel und Rezensionen seiner Werke, wie auch zahlreiche Dokumente zur Zeitgeschichte überhaupt. Zentral für den Bestand ist die überlieferte Korrespondenz. Haeckel selbst plante noch zu Lebzeiten verschiedene Editionen seiner Briefe und sammelte und ordnete zu diesem Zweck systematisch seinen Briefnachlass, der alphabetisch-chronologisch, zum Teil aber auch thematisch sortiert und wie beispielsweise im Fall der Amtskorrespondenz in Form von Konvoluten überliefert ist. Auch hatte er bereits zu Lebzeiten an alle Familienmitglieder verfügt, seine Briefe aufzubewahren und ihm zu übergeben. Aus diesen Gründen bilden die im Ernst-Haeckel-Archiv verwahrten Briefe an Ernst Haeckel als nahezu geschlossenes Korpus (39.365). Daneben sind aktuell 7.170 Briefe von Ernst Haeckel überliefert. Den Rest bilden Korrespondenzstücke aus dem Umfeld Haeckels sowie Briefe mit bislang ungeklärter Zuordnung (Stand 13.9.2023).

Die ersten Bemühungen, den Briefnachlass Haeckels zu komplettieren, gehen bereits auf Haeckels Sohn und Nachlassverwalter, Walter Haeckel (1868-1939), und seinen letzten Assistenten und späteren Kustos des Ernst-Haeckel-Hauses, Heinrich Schmidt (1874-1935), zurück. Das Gros der Briefe von Haeckel liegt aufgrund seiner internationalen Rezeption global verstreut und wird fortlaufend eingeworben.

Neben verstreut liegenden Briefnachlässen hat das Ungleichgewicht von Brief und Gegenbrief im Korpus von Ernst Haeckel auch strukturelle Ursachen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde Ernst Haeckel in der Rezeption der von ihm selbst initiierten Popularisierung und Ideologisierung der Lebenswissenschaften (Vgl. u. a.: Ernst Haeckel: Die Lebenswunder. Gemeinverständliche Studien über Biologische Philosophie. Ergänzungsband zu dem Buche über die Welträthsel. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1904, sowie ders.: Der Kampf um den Entwicklungs-Gedanken. Drei Vorträge, gehalten am 14., 16. und 19. April 1905 im Saale der Sing-Akademie zu Berlin. Berlin: Reimer, 1905) zunehmend zur Symbolfigur und Projektionsfläche gleichermaßen. Die Struktur des überlieferten Briefkorpus ist daher in hohem Maße von einseitiger, nichtdialogischer Kommunikation geprägt, die Haeckel aufgrund der immensen Anzahl überwiegend mit Serienbriefen beantwortete, und die spätestens ab den 1890er Jahren zunehmend die traditionelle Gelehrten- und Familienkorrespondenz überdeckt. Hierunter zählen in großer Anzahl Zuschriften, welche sowohl thematisch, als auch anhand der enormen Bandbreite der sozialen und kulturellen Herkunft der Autorenschaft die vielschichtige Rezeption Haeckels in ihrer gesamten sozialen, kulturellen, religiösen und politischen Wirkung greifbar machen.

 

Vorläufer

 

Die ersten Korrespondenzen Haeckels wurden bereits zu dessen Lebzeiten und mit dessen Unterstützung veröffentlicht. Die ersten Editionen der Briefe Haeckels durch seine Nachlassverwalter wurden ab 1921 besorgt . Sie enthalten jedoch kaum Gegenbriefe und bilden damit keinen Briefwechsel im eigentlichen Sinne ab. Ebenfalls in diese Zeit fällt auch die Aufnahme von Haeckel-Briefen in Anthologien hervorragender Wissenschaftler. Jene frühen Editionen verfolgten mehr oder weniger die Darstellungsabsicht, dem Naturforscher Haeckel einen Platz in der Reihe der „großen Männer der Wissenschaftsgeschichte“ zu sichern. Dieser Absicht folgend wurden die Brieftexte zum Teil sehr stark gekürzt, an den Sprachgebrauch der damaligen Zeit angeglichen und nicht selten zensiert, z.T. sogar im Wortlaut verändert. Gemeinsam ist den vorgenannten Briefausgaben außerdem, dass sie trotz hoher Verbreitung fast alle ohne textkritische Apparate, Kommentare oder Indices auskommen.

 

Ernst Haeckel (1834-1919): Briefedition

 

Aufgrund der großen Menge an Korrespondenzstücken ist die Strategie des Projektes dual angelegt und umfasst: 1.) die vollständige Wiedergabe der textkritisch bearbeiteten Transkription und Online-Publikation der gesamten Korrespondenz (Briefe und Gegenbriefe) inklusive Metadaten als Volltext abruf- und recherchierbar, sowie 2.) eine vollständig historisch-kritisch bearbeitete, mit kontextualisierenden Stellenkommentaren versehene Printedition ausgewählter Briefwechsel in 25 Themenbänden, die die essentielle biographische, wissenschaftliche, literarisch-künstlerische, zeitgeschichtliche und politische Korrespondenz Haeckels verfügbar machen soll. Strukturell gliedern sich die Themenbände (Stand 13.9.2023) in:

  • Band 1-6:       Familienkorrespondenz
  • Band 7-12:     Wissenschaftskorrespondenz
  • Band 13-14:    Amtskorrespondenz
  • Band 15-16:   Verlegerkorrespondenz
  • Band 17-18:   Korrespondenz mit Freunden und Förderern
  • Band 19-25:   Weltanschauliche Korrespondenz

 

Im Zuge der vollständigen Publikation aller Korrespondenzstücke in der Online-Edition werden die Briefe zunächst transkribiert, nach dem Vier-Augen-Prinzip kollationiert, textkritisch bearbeitet und die Brief- und Personenmetadaten ausgewiesen. Im Zuge der textkritischen Edition der Briefe werden die bis dahin als vorläufig zu bewertenden Metadaten überprüft und gegebenenfalls ergänzt und berichtigt. Die Personendaten werden fortlaufend mit den einschlägigen Personennormdatenbanken wie etwa ADB/NDB oder der DNB abgeglichen, Namensansetzungen nach deren Standards normiert und – sofern möglich – extern über den Personenschlüssel der Gemeinsamen Normdatei (GND) referenziert.

 

Software & Technologien

 

Ausgangsbasis für die digitale Edition bildete das in einem Vorläuferprojekt als Findbuch erarbeitete Bestandsverzeichnis der Korrespondenzstücke (Vgl.: Uwe Hoßfeld/Olaf Breidbach: Haeckel-Korrespondenz: Übersicht über den Briefbestand des Ernst-Haeckel-Archivs (Ernst-Haeckel-Haus-Studien: 9), Berlin: VWB, 2005) sowie ein aus diesem Findbuch generiertes elektronisches Repertorium. Aus diesem Repertorium wurde eine relationale SQL Datenbank erstellt, deren Modell (ERM) die logischen Relationen zwischen Briefen und Personen, Orten, Ländern und Körperschaften sowie Personen untereinander und Beziehungen zu Körperschaften abbildet. Sowohl die Entitäten selbst, als auch die relationalen Verknüpfungen (Briefe, Personen usw.) sind durch persistente Identifier eineindeutig fixiert und werden im Web Frontend ausgegeben um dort als Signatur für die Briefe bzw. als Identifier für Personen zu dienen. Seit 2018 ist das Web Frontend in seiner aktuellen Anmutung online verfügbar. Sowohl SQL Daten, als auch die korrespondierenden Brieftexte werden mit Apache Solr indiziert und volltextsuchbar ausgegeben. Als CMS kommt DRUPAL zum Einsatz.

Weiterführend dazu auch: https://doi.org/10.13109/9783666370953.371

 

Wissenschaftlicher Beirat