Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Venedig, 29. März 1869

Venedig, den 29. März |1869.

Lieber Ernesto!

Mit herzlichem Danke für Deine beiden Briefe sende ich Dir die erste Nachricht von uns angesichts der Adria von der ich ein Stück vom Fenster unserer Wohnung aus erblicke. Zunächst sage ich Dir daß es mir gut geht, und daß ich mich freue da Du meiner mit so viel Treue gedenkst. Was unsere Reise betrifft so gingen wir über Innsbruck und den Brenner nach Verona und wurden bei der Brennerfahrt vom herrlichsten Wetter begünstigt. Von Bozen machten wir einen seitlichen Abstecher nach Meran, und waren auch da befriedigt, allein tiefer unten im Etschthal sammelte Jupiter pluvius seine Wolken und zeigte uns im voraus was er für Venedig bestimmt hatte. Schon in Verona war das Wetter wechselnd, gönnte uns aber doch noch einen sonnigen Nachmittag für die Giardini Giusti, den einzigen grünen Fleck weit und breit. In Heidelberg war Mitte März die Vegetation || viel weiter als in der Ebene von Verona nach Venedig, eine Strecke die ebensogut im Gebiete des norddeutschen Bundes hätte liegen können. Dicke schwere Wolken breiteten sich über die ganze Ebene. Sie wurden zwar bald durch heftigen Nordwind zerstreut, der der Sonne den Durchblick gestattete, aber nur für ihre Lichtstrahlen. Wir hatten so drei Tage in Venedig anmuthig zugebracht, zu Hause im geheizten Zimmer draußen in warme Gewande gehüllt. All die Titiane und Tintoretto, blickten gar frostig auf uns nieder, und schienen sich nach nordischem Pelzwerk zu sehnen, dessen unser Holbein und Kranach gewiß nicht gespart haben würden. Aber auch wir theilten diese Gefühle, und suchten immer recht frühzeitig die Nähe des wärmenden Ofens auf. Dabei ist freilich der gute Humor nicht verloren gegangen, selbst jetzt nicht, nachdem seit gestern morgens strömender Regen sich ergießt, und zu der Kälte auch die Nässe sich gesellen macht. Wäre nicht schon ein gutes Stück der Ferien aufgebraucht würde ich unbedingt nach || Neapel gehen. Eine Regenpause führte mich gestern mit Schultze auf dem Maronoplatze zusammen. Er war mit Billroth hieher gekommen, und fand sich über ein nicht nach Wunsch geartetes Frühstück in schlechter Stimmung. Was Du mir von Pr. schriebst – Dein Brief war mir kurz vor dieser Begegnung mit S. zugekommen – bestätigte mir S, freilich durch ganz entgegengesetzte Aeußerungen. Heute kam mich noch zu guter letzt Stricker auf den Hals, den ich mir aber bald wieder losschaffte. Seine persönliche Erscheinung entspricht vollständig dem was wir über sein Product besprochen. Für Deine Spongien werde ich wohl erst in Triest Sorge tragen können, wenn ich nicht etwa heute noch Nordo finde, den ich hernach aufsuchen gehe. Das Wetter ist zu scheußlich um aufs Grathewohl aufs Meer zu fahren, und dann vielleicht nichts zu finden. Morgen werden wir per Eisenbahn nach Triest abgehen, wenn der Nachmittag nicht etwas besser sich anläßt. In Wien werden wir uns wohl etwas länger aufhalten und für Italien entschädigen! ||

Meine liebe Frau läßt Dich bestens grüßen und trägt mir Empfehlungen an Deine Frau auf, denen ich auch die meinigen beifüge.

Nun lebe wohl, bester Freund, und bewahre Deine brüderlichen Gesinnungen Deinem treuen

Carlo.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
29.03.1869
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9957
ID
9957