Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Jena, 25. November bis 3. Dezember 1866

Jena, 25 Nov. 1866

Liebster Freund!

In der Hoffnung daß wenigstens mein letzter, vor acht Tagen etwa zur Post gegebener Brief in Deine Hände gelangt ist, nachdem Du glücklich Deine erste Station erreicht hast, unternehme ich diesen zweiten Brief, der allmählig, tagebuchartig, vollendet werden soll. Mit größtem Interesse habe ich Deinen vor zwei Tagen hier angelangten a ausführlichen Reisebericht gelesen, und gratulire sowohl zum guten Verlauf der Reise wie auch zum Rhizostom dass ich als Zeichen guter Vorbedeutung betrachte. Mit meiner Gesundheit geht es allmählich besser, langsam, sehr langsam; an Arbeiten irgend welcher Art kann ich noch nicht denken, und ich bin zufrieden wenn ich, vom Praeparirsaal aufs höchste ermüdet, auf meiner Long-Chaise liegen kann!

Gestern Abend war Seebeck wieder bei mir, und wir sprachen fast ausschließlich von Dir, von Deinem Buche, dessen philos. Unterlage dem wackeren Manne unzugänglich scheint. Doch das weisst Du ja alles selbst. Die Dinge wollen sich eben auch hier entwickeln, und das Anpassungsvermögen ist sehr ungleich vertheilt! Das schadet auch nicht. Dein Wunsch um Bewilligung einer Summe zum Sammeln wird erfüllt werden. Vielleicht kann ich schon diesem Briefe einige hierauf bezügliche Zeilen Seebecks, wie er mir es versprochen, beilegen. – Vorgestern kam ein Brief – Volgers an, heute einer von Osk. Schmidt, welchen ich Dir beilege. Den Volgers habe ich bis auf ganz unwesentliches, auf die letzte, leere Seite des Schmidt’schen Briefes abgeschrieben, da er Dir doch gewiß viele Heiterkeit bereiten wird. Es ist wirklich großartig wie weit die Unverschämtheit dieses Menschen geht. Doch lies erst selbst, Du wirst mir beistimmen, wohl auch den eingeschalteten Bemerkungen die ich nicht unterdrücken konnte. Von Literaturerscheinungen weiß ich nichts bedeutenderes zu berichten. Die Zeitschriften bringen die alten Schaumpfeifereien. Von Monographien ist mir nur Schneider‘s Nematodenwerk, das Du vielleicht schon hier in Deutschland gesehen hast, zugekommen. Er scheint eine recht gute, fleißige Arbeit zu sein. Endlich einmal! nachdem, über diese Thiere so vieles Papier unnütz bedrucket ward. Wie ungleich sich die Geschicke vertheilen! Das Schneidersche Buch wird so brauchbar es ist gewiß kein bedeutendes Aufsehen machen. Es ist nichts neues darin, in dem Sinne wie man heutzutags Neues verlangt. Alles was darin festgestellt ist, gewiß infolge sehr mühsamer Untersuchungen ist schon zehn- und zwanzigmal seit den letzten 60 Jahren besprochen worden. Wie anders war es vor 12 Jahren mit den Meißnerschen Arbeiten über Mermithen. Das waren Muster der Forschung! Herr Siebold blies die Backen auf und deutete mit Stolz auf den Schüler. Academien öffneten ihren sonst so züchtig verschloßenen Schoos das Wunderkind zu den || Ihrigen anzunehmen. Und was war es am End? Das Neue fast durchgängig nicht wahr, wie man nach der ersten Untersuchung sehen konnte, und das wahre kaum neu, oder höchst untergeordneter Art. Humbug! Also auch da waltet die Mode, und mit ihr die Reclame. – Von Agassiz lese ich in den Novitätsverzeichnißen ein Buch angezeigt welches die Organisation der Thiere zum Gegenstand hat. So etwas also unter vergl. Anatom. Das Buch selbst habe ich noch nicht zu sehen bekommen. Vielleicht ist es nur ein Buchhändlerunternehmen.

30 Nov Heute erhalte ich von Seebeck folgende Mittheilung: „Schreiben Sie an unseren Freund Häckel, so bitte ich a neben meinem Dank für seinen freundlichen Brief aus Lissabon ihm mitzutheilen daß das Großherz. Staatsminst. seine Absicht, die jetzige Reise auch für unser zoolog. Museum ergiebig zu machen, dankbar erkennt, und zur Deckung der ihm dabei erwachsenden Auslagen für Conservationsmittel, Verpackung und Transport aus Mitteln der Großherz. Museumskasse die Summe von fünfhundert Thalern gerne ihm zur Verfügung stellt. Ich würde ihm selbst schreiben, wenn mir möglich wäre, dabei für Mittheilung seines neuesten Buches nur zu danken, und nicht auch nachdem ich den ersten Band fast ganz gelesen, mich darüber zu äußern, das könnte ich aber nicht mit kurzen Worten, und da meine Zeit eher knapp ist, auch ihm selbst lieb sein wird die obige Nachricht bald zu erhalten. So scheint es mir besser etc.“ Schließlich läßt er Dir noch seine besten Grüße sagen.

Auch von Würzb. erhielt ich heute Nachricht. Meine Schwiegermutter, die sich theilnehmend nach Dir erkundigte, läßt Dich gleichfalls vielmals grüßen. Meinem Kind geht es gut, es entwickelt sich erfreulich. Wie groß wäre doch das Glück meiner theuren Emma, hätte sie das erleben können; wie groß wäre dann auch mein Glückstheil! Doch es sollte nicht so sein! Die einsamen Stunden dieses Winters geben mir viel Muße zum Nachdenken über jenes Thema, und Anlaß dazu wird mir ohnehin jeden Tag zu Theil. –

1. Dec. Heute habe ich den ersten größeren Ausflug unternommen, herrliches Winterwetter lockte mich wieder auf einen unserer alten gemeinsamen Wege, und da wandelte ich dann über Lichtenhain auf unsere Platte, mit vielen Gedanken an Dich. Es war herrlich da oben, aber, wie immer, habe ich da recht schwer Dich vermißt. Ich empfand alle Schöne das sich da dem Blicke aufthat, so ganz anders als sonst, und ich kann nicht sagen daß ich heiter den Rückweg antrat. Bei Schultze führte mich der Zufall mit Pringsheim zusammen, der meine Begrüßung nicht erwidernd, mit einigen verächtlichen Blicken ǀ die Wirkung Deines Buches zu erkennen gab! Ich werde dieses „Unglück“ mit Würde zu tragen wissen!

Da Du jedenfalls sammeln wirst, so bitte ich Dich auch an mich dabei zu denken. Ich beschränke alle meine Wünsche auf Selachier, natürlich nur seltenere oder solche die im Mittelmeer gar nicht vorkommen. Nur wenige Specimen von einer Species, aber möglichst gut, auch bezüglich der Eingeweide conservirt. Von sehr großen Exemplaren genügt der Kopf bis zu den Brustflossen (Schultergürtel inclusive) Das Schädeldach kann in der Mitte perforirt werden, zur Conservirung des Gehirns. Von Rochen kann das Brustflossenwerk größtentheils entfernt werden, so daß der vordere zum Schädel reichende Bogen daran bleibt. So wird Weingeist u. Raum erspart. Micklucho ist wohl so freundlich diese Besorgungen Dir abzunehmen, und mir den Gefallen des Sammelns und Conservirens jener Objecte zu erzeigen. Sollten Selachier-Embryonen in jungen Stadien zu erhalten sein, so möchte ich gleichfalls darum bitten, natürlich für den Fall Ihr sie nicht selbst verarbeitet. Das Selachierskelet hat noch viel Räthselhaftes das durch embryolog. Vergleichung aufgeklärt werden kann. Teleostierkragen kann ich gleichfalls brauchen, wenn mir die Gattung (u. etwa auch Art) bezeichnet werden kann. Alle Auslagen zu ersetzen bin ich natürlich gerne bereit! Ich denke, wie Du siehst, wieder ans Arbeiten, wenigstens ans Arbeitsmaterial, und hoffe bald wieder soweit zu sein um mein Buch das mir schwer auf dem Herzen liegt vornehmen zu können. Wenn nur der zeitraubende, und ermattende Praeparirsaal nicht wäre! Oder doch eine bessere Hilfe zur Seite stände. Die besten Tage der Arbeitsfähigkeit verstreichen einem mit der Unterweisung in den elementarsten Dingen, und am Ende hat man den jungen Leuten nicht mehr gelehrt, als es ein Anderer auch kann, dem die Zeit weniger kostbar ist. Und doch brauche ich diese Beschäftigung und ihre Objecte, von denen ich so manche neue Anschauung, manche mir wohl später noch fruchtbar werdende Idee gewonnen habe. Es wird also nach einem Mittel gesucht werden müssen das Lästige zu mindern ohne die Vortheile auszuschließen. Ob mir das wohl noch einmal gelingen wird?

3. Dec. Von Deiner lieben Mama erhielt ich die Nachricht von der glücklichen Ankunft auf Funchal, wo Dir hoffentlich mein erster, nach Deiner Abreise von England an Dich gerichteter Brief zu Händen gekommen sein wird. Du wirst also diesen Brief in Orotava erhalten. Da bis zu einer Rückantwort lange b Zeit vergehen wird, so bitte ich Dich mir schon in Deinem nächsten Briefe anzugeben wie Du es mit Deinen Vorlesungen im Sommer halten willst. Der Lectionscatalog wird nämlich bereits im Januar angefertigt, und ich möchte da nichts auf eigene Faust anordnen. Vergiß also nicht auf die bezügliche Notiz; nur kurze Angabe des Gegenstandes und der Stunden. Alles andere will ich schon ausführen. ||

Das Gravitationsgesetz beginnt im „norddeutschem Bunde“ allmählich auf die Peripherie zu wirken. In einer acad. Senatssitzung ist jüngst die Bestellung einer Commission beschlossen worden die auf eine Assimilirung der hiesigen Univers. mit den preußischen hinwirken soll. D. h. dahin zu wirken daß die hiesigen Examina den preuß. gleichgestellt werden möchten. Das würde gewiß für uns ganz vortheilhaft sein, ich halte es aber vorerst noch für unerreichbar. Eine Concession die wir erhalten, wird geknüpft sein an Concessionen die wir machen müssen. Und ob wir da nicht Brod hergeben und einen Stein dafür erhalten. Man kann deutlich genug sehen daß Jena der herschenden Partei in Pr. ein Dorn im Auge ist. Erst jüngst ist die †zeitung über die Theologenfrage dahier hergefallen. Was steht uns also zu erwarten? Wenn erst der Lahmlegungsprozeß der kleinen thüringischen Existenzen vollends beendet sein wird, werden wir unsere hiesigen Verhältniße auf Gnade oder Ungnade ohnehin übergeben müssen. Das kann bei der gegenwärtigen Situation nicht lange ausbleiben.

Du siehst ich sehe unsere Zustände etwas pessimistisch an. Ich kann nicht anders, so sehr ich auch besseres zu finden bemüht bin. Nicht begierig bin ich auf das Parlament, das im Januar zusammentreten soll. Zu constituiren wird es nichts bekommen, soviel ist jetzt schon ausgemacht. Es ist wenig oder gar nichts gutes zu hoffen. Doch kommt am Ende doch einmal eine Krisis herbei. In Süddeutschland ist die gräulichste Verwirrung! Ich bin froh nichts davon hören zu müssen. Oben und unten Confusion, Unfähigkeit. – – –

Zu Weihnachten gedenke ich auf einige Tage mein Töchterchen zu besuchen, wonach ich mich sehr sehne. Jedenfalls sende ich vorher noch einen Brief an Dich ab, und erwarte auch bis dahin von Dir wieder eine ausführliche Nachricht. Mit der größten Spannung sehe ich der Schilderung der ersten Eindrücke Tenerieffas entgegen, was Ihr arbeitet, wie Ihr Euch arrangirt habt. So mag denn in diesen Erwartungen wieder ein Stück Winter herausgehen, der diess mal sich sehr frühzeitig eingestellt hat. Miklucho u. Fol hätten dießmal weniger Schwierigkeit gefrorne Leichname zu Durchschnitten zu erhalten! Grüße mir Deine Begleiter freundlichst, und lebe wohl unter glücklicherem Himmel!

Mit brüderlichem Kuß und Gruß Dein treuer

C. G.

a Gestr.: daß; b von oben eingefügt: lange;

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
03.12.1866
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9943
ID
9943