Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Jena, 28. Dezember 1860

Jena, 28 Dezember 1860.

Lieber Häckel!

Gestatten Sie mir daß ich noch vor Jahresschluß Ihnen die Freude, die ich über Ihren heute durch Bezold empfangenen Brief empfinden mußte, schriftlich bezeuge. Ich hatte allerdings erwartet daß es so kommen mußte, aber ich bedachte doch immer dabei daß ein verschiedener Standpunkt auch die Dinge anders erscheinen läßt: daß Sie in Berlin die hiesigen Verhältniße nicht mit denselben Augen ansehen können, wie ich hier. Um so besser daß Sie sich rasch entschieden! Bezold hatte Ihnen geschrieben daß Sie hieher kommen möchten, dies war für die damalige Sachlage das gerathenste, auch Seebeck, mit dem ich inzwischen Rücksprache genommen hatte, hielt es für angemeßen, da er Ihnen mündlich auseinandersetzen könnte, was schriftlich nicht zu sagen war. Sorgen Sie nur dafür daß durchaus keine Sylbe von unseren Verhandlungen auch fernerhin transcendirt! –

Unbegreiflich ist mir was das für ein Glück sein mag, das Sie von sich gestoßen haben sollten! Zersplitterung von Thätigkeit, Kampf mit einem durch Stellung und Alleinbeherrschung der Attribute doch gewiß Ueberlegenen, und daher doppelte Plage und doppelter Aerger! Wie schon gesagt, ist es Ihren Freunden so sehr um Ihr Wohl zu thun, so mögen sie Sie von hier weg holen; wir wollen sehen ob dieß so einfach ist. Jedenfalls können jene durch den Versuch zeigen wie die Sache eigentlich gelegen war! Doch genug davon. – ||

Was Ihre Habilitationsschrift angeht, so halten Sie dieselbe möglichst kurz, 1–1½ Bogen Text halte ich für ausreichend. Es ist wünschenswerth diese Formalien auch als solche zu behandeln. Laßen Sie den Text in Berlin drucken, den Titel nebst Thesen können Sie hier rasch gedruckt bekommen, und da Sie sich doch einige Tage vorhera hier werden aufhalten müßen, so wird ja dadurch keine Verzögerung. Sie schreiben mir, Sie würden Ende Januar hieher kommen, das ist gut; besser ist aber wohl wenn Sie den Act etwa in der ersten Februarwoche abmachen, denn mit dem 2ten Februar wird Schleiden Dekan bei uns, und es scheint mir im Intereße der Sache zu sein wenn die schließliche Abwicklung der ganzen Angelegenheit in Eine Hand kömmt. Ried ist ohnehin etwas flau in Geschäftssachen. Schicken Sie nur recht bald das noch Nöthige ein, und fragen Sie dabei an ob Sie zu der oben erwähnten Zeit zur Habilitation vorgehen könnten. Fragen Sie auch dabei an ob Sie die Habilitationsschrift zuvor vorlegen müßten, in den Statuten finde ich nichts darüber bestimmt, es wird daher auf den Usus ankommen. Das ist mir aber Alles Nebensache. Die Hauptsache ist daß Sie hieher gehen und hier ihre Carriere beginnen und fortsetzen. Sie werden sehen daß Jena lange nicht so schlimme ist als es im Berliner Zauberspiegel erscheint. Dort hatte man es zur „Demagogenzeit“ in Verruf gethan, und als die Demagogie modern geworden „nergelt“ man aus anderen Gründen an uns herum. || In vielen Einzelheiten mag man Recht haben, wir können die Philosophical Transactions nicht halten, das ist wahr, in vielen Dingen ist der Zopf groß, das ist wieder nicht zu läugnen (ob größer als der Königlich preußische will ich nicht entscheiden), Allein – im Ganzen, da haben jene „Nergler“ sicherlich Unrecht. Doch ich habe ja jetzt Aussicht daß Sie sich selbst von der Richtigkeit (oder Unrichtigkeit) meiner Beurtheilung der hiersigen Dinge werden überzeugen können. Nun noch etwas: Jedesmal, so oft ich an Sie schrieb, ist mir die Nachfrage nach dem Betrage meiner Schuld wegen der sicilischen Fische durch anderes aus dem Gedächtniße gedrängt worden, dießmal will ich es nicht vergeßen darnach zu fragen, und Sie zu bitten mir auf einem Zettel die Schuldberechnung zukommen zu laßen.

Machen Sie es ganz einfach und setzen Sie nach Gutdüncken Auslagen für Fische, andere Seethiere, Spititus, Emballage etc. [auf] die Rechnung, specificirt braucht natürlich nichts zu sein. Ich werde es dann baldmöglichst berichtigen. Daß von allem auch Exemplare ins Zoologische Museum kommen versteht sich. Sie können dann noch manche Wiedererkennungsscene feiern! Mit dem Bestimmen der Fische ist es nur langsam vorwärts gegangen. Es ist etwa nur der dritte Theil fertig geworden, da dazu vor allem die, mir gerade im Winter fehlende Zeit gehört. Colleg und Präparirsaal absobieren die besten Stunden. Es geht aber nicht anders und gerade die jüngeren müßen || hier das möglichste zu leisten versuchen. Unsere Frequenzverhältniße heben sich nämlich seit einem Semester sehr verschlechtert, damit Sie nicht von anderer Seite her zuerstb darauf aufmerksam gemacht werden, ist es gut wenn ich es Ihnen schreibe. Wir zählen dieses Semester nur 47 Mediziner. Erschrecken Sie nicht, die Sache ist für Sie nicht so schlimm als sie aussieht, da der Ausfall nur die späteren Semester trifft. Ich habe in meiner Vorlesung über Descriptive Anatomie 28 Zuhörer, im Praeparirsaal arbeiten 17. Ich theile Ihnen dieß mit, damit Sie sehen daß für uns beidec die Sache d minder bedenklich ist und damit Sie sich nicht etwa bange machen laßen. Zu den beßten Zeiten, innerhalb der letzten 20 Jahre, waren die Frequenze Verhältnisse für die ersten Semester nicht günstiger. Neue ausgezeichnete Kraefte, wie Sie, werden nur beitragen die Frequenz der ersten Semester zu heben. So können Sie also bezüglich Ihrer Vorlesungen vollkommen beruhigt sein. –

Indem ich schließlich die Hoffnung ausspreche daß der Ihrer Frau Mutter zugestoßene Unfall keine üblen Folgen haben werde, wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen guten Beschluß des alten, an Erregungen aller Art so reich gewesenen Jahres, und fröhlichen Beginn des neuen, welches Ihnen zum Glück und Segen gereichen soll, alle Schulden des Vorläufers tilgend!

Ihr ergebener Gegenbaur.

PS. Wenn ich Sie bezüglich Ihrer Anfrage auf den Dekan verwiesen habe, so geschieht es vornehmlich deßhalb weil ich meine Person möglichst ausser Beziehungen sehen möchte, Sie werden im Zusammenhang mit unserer Verhandlung diess leicht einsehen!

a eingef.: vorher; b eingef.: zuerst; c eingef.: beide; d ein Buchstabe gestr.; e eingef.: Frequenz

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
28.12.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9918
ID
9918