Bölsche, Wilhelm

Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 2. Februar 1899

Friedrichshagen bei Berlin, Ahorn Allee 19.

2.II.99.

Lieber Herr Professor!

Vielen, vielen Dank! Gestern ist die Kiste wohlbehalten hier eingetroffen.

Lassen Sie mich zunächst Ihnen besonders die Hand drücken für das prächtige Geschenk des Radiolarien-Kästchens. Ich habe noch gestern Abend bis 3 Uhr aufgesessen und die ganze Sammlung unter dem Mikroskop durchgesehen, – mit einer intelektuellen und ästhetischen Freude, wie man sie nur selten so im Leben erfährt! || Ich freue mich doppelt, grade jetzt Ihr Radiolarien-Werk eine Weile zur Hand zu haben, um mich recht in die wundervollen Sachen vertiefen zu können, sie werden mir noch viele genußreiche Stunden bereiten!

Auch die anderen Naturalien haben uns viel Freude gemacht, einstweilen mehr den „großen Kindern" als dem kleinen, dessen zoologischer Formensinn noch embryonal ist. (Der kleine Bengel hat grade die ersten Zähnchen bekommen, – er gedeiht ausgezeichnet!)

Von den Büchern verspreche ich mir vielerlei Genüsse und Nutzen für mich weit über die engeren Zwecke der Biographie noch hinaus. || Ich denke aber, auch diese Biographie soll ein lesbares Buch werden, das Anderen wieder Freude weitergibt.

Ich komme also Mai nach Jena, es ist mir so auch lieber, da ich eine schöne Frühlingsfahrt damit verbinden kann. An die Ausarbeitung des Textes komme ich doch vorher nicht, da ich einstweilen noch in andern Arbeiten stecke und mancherlei Vorstudien erst in Ruhe betreiben will.

Ich lese grade ein Buch von dem Kieler Botaniker Reinke: „Die Welt als That.". Das Buch ist überaus charakteristisch für gewisse Strömungen und Unklarheiten in der modernsten Naturforschung. Der Mann entdeckt als Fazit dreißig-||jährigen Grübelns den krassesten Dualismus wie etwas ganz Neues. Die Natur als eine Maschine, die von der „Weltvernunft" ganz grob äußerlich in Gang gesetzt wird!!! Und er hält Goethe für eine Stütze solcher Anschauungen! Ist das nicht lustig?

Mit den herzlichsten Grüßen und nochmals vielem Dank

Ihr Wilhelm Bölsche

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
02.02.1899
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9589
ID
9589