Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 25. August 1895
Friedrichshagen b. Berlin. Ahorn Allee 19.
25.VIII.95.
Hochverehrter Herr Professor!
Ihr mißlicher Fall hat mich sehr betrübt. Aber nehmen Sie ihn als „Ring des Polykrates", − der Neid der Götter, denen Sie so oft energisch entgegen getreten sind, will eben auch bisweilen sein kleines Opfer haben! Herzlichen Dank für Ihre freundlichen Worte über die „Entwickelungsgeschichte". Mir hat sie zuletzt noch viel Aerger gemacht. Der Verleger stellte ohne mein Zuthun ein wahrhaft erschreckend fehlerhaftes Inhaltsverzeichniß her, von dem ich nun bloß hoffe, daß es Niemand liest! Ich komme eben von einem sehr lustigen Badeaufenthalt auf der Nordseeinsel Langeoog || zurück. Die Insel ist zum Glück erst an der einen Ecke von der Kultur erobert, der größere Rest ist freie Möven- und Austernfischer-Colonie. Ich habe da in drei Wochen nicht nur meine Gesundheit und Laune prächtig aufgebessert, sondern auch mich in ein ganz eigenartiges Naturbild hineingelebt. Die ganzen Dünen waren um diese Jahres-Zeit in den Duft der blühenden Strandlevkojen gehüllt, in den Thälern dazwischen blühte die schöne Pirola in Masse, dazu der eigentümliche Zauber der zahllosen prächtigen Seevögel, die hier ungestört nisten, − es war wirklich wundervoll. Die Badegäste freilich, Offiziere, Pastöre und Schulmeister jammerten, daß auf der Insel nichts zu sehen sei! Es ist doch eine sehr betrübliche Thatsache, wie verschlossen die größte || Genußquelle auf Reisen, die Natur, unserm Durchschnittsmenschen noch immer ist! Wie eng hängt hier wieder ästhetisches Empfinden mit Wissen zusammen! Es gehört sicherlich zu den erfreulichsten Thatsachen auf der andern Seite, daß jede Verbreitung von Erkenntniß direkt einen Genußzuwachs für die Menschheit bedeuten wird.
Mit der Hoffnung, daß es Ihnen recht bald wieder gut gehe,
herzlichst Ihr W. Bölsche