Anonym

Anonym an Ernst Haeckel, Offenburg, 1907

Hochgeehrter Herr Professor!

Verzeihen Sie vielmals, daß ich erst heute schreibe. Ich bin erst seit gestern Abend im Besitz Ihres Briefs. Nachdem ich nämlich am 2. Mittwoch nach Abgang meines Briefs an Sie (2. Pfingstfeiertag) auf dem Postamt vergeblich nach Antwort gesehen, kam mir die ganze Vermessenheit meines Schrittes wieder u. || der Zweifel, daß Sie sich ja mit meiner Angelegenheit befassen würden. Umso größer war die Freude, als ich mich gestern Abend wieder entschloß, nachzusehen. Vielen herzlichen Dank, verehrter Herr Professor, für die liebenswürdige Antwort.

Es wäre selbstredend eine große Enttäuschung für mich gewesen, vergeblich, wie ich glaubte, an Ihre Güte appelliert zu haben. Die Schuld jedoch maß ich mir selbst zu. Meiner großen Bewunde-||rung für Sie konnte diese Enttäuschung nichts anhaben. Dasa können Sie daraus sehen, daß ich unterdessen ein anderes Buch von Ihnen vorgenommen, die „Antropogenie“. Die eingehendere Bekanntschaft mitb Ihren Werken verdanke ich meinem Vetter, einem sehr braven, vergnügten u. begabten Burschen, der sie jeweils auswählt u. sie mir zuschickt. Pietistische Bücher stellen Sie ja, wie Sie selbst am besten wissen, so etwa als Geist aus dem Abgrund || u. Schlimmeres hin. So ungefähr lautete auch das erste Urteil, das ich irgendwo las. Dann sah ich vor einigen Jahren in einer guten illustrierten Zeitung Ihr Bild – glaube ich, vom 60jährigen Geburtstag – und war überrascht von der so fernen, gütigen und vornehmen Erscheinung – eine ausgezeichnete Reklame übrigens für Ihre Weltanschauung. Einige Zeit später fand ich zufällig in einer Bibliothek Ihre „sieben Welträtsel“ u. staunte wieder, wie viel da in || wenig Worten gesagt ist, nicht gelehrt trocken, sondern anziehend und speziell für Laien. Diesen Eindruck teilte ich meinem Vetter mit, der sich höllisch freute, denn er spricht nur mit der größten Bewunderung u. tiefsten Ehrfurcht von Ihnen.

Was nun „verwandtschaftliche Fesseln“ anbelangt, so existierten sie nie für mich. Es wurde in keiner Weise Zwang bei uns ausgeübt, obwohl Papa Pfarrer war. Zudem bin ich eine selbständig || veranlagte Natur u. behalte mir jederzeit vor, mir mein Urteil in Sachen der Weltanschauung, des Geschmacks u.s.w. selbst zu bilden.

Nachdem ich nun wieder so ausführlich geworden, was ich gütigst zu entschuldigen bitte, gestatte ich mir, endlich zur Sache zu kommen. Es ist zu liebenswürdig von Ihnen, hochgeehrter Herr Professor, sich für michc verwenden zu wollen. Sie verpflichten mich zu großem Dank.

Anbei meine Photogra-||phie. Leider bin ich schon 29 Jahre alt, sehe aber – nebenbei bemerkt, etwas jünger aus. Außerdem bin ich Lehrerin, doch nicht in Offenburg. Aus diesem Umstand ersehen Sie, daß ich mit irdischen Gütern nicht sonderlich reich gesegnet bin – was, Sie dürfen mir glauben, nicht die Ursache war, daß ich mit dem Herrn, den ich erwähnte, auseinander kam. – Wir haben zwar eine Villa in Lahr, in der ich etwas Vermögen stecken habe; doch stünden mir zur Zeit nur die Mittel zu einer guten || Ausstattung, bzw. Einrichtung, zur Verfügung.

Dürfte ich mir nun erlauben, ein wenig meine Ansichten, wie sich eine Vermittlung etwa einleiten ließe, zud äußern? Vor allem müßte Stimmung in die Situation kommen, etwa so, indem Sie dem Herrn mitteilen, daß sich eine Dame intensiv für ihn interessieree – scheinbar eine Lüge, insofern jedoch nicht, als ein Herr, den Sie in Vorschlag bringen, von vornherein mein Interesse erregt. Sobald der Herr merkt, oder meint, || er sei Gegenstand einer Spekulation oder ein Mittel zur Versorgung, wozu ich die Ehe niemals erniedrigen würde, ist die Sache verloren. Ein Mann (von Gemüt) will das Gefühl haben, von Liebe umgeben zu sein. Ich wäre z.B. sehr unglücklich, mit einem Mann zusammenzuleben, dem dieses Bedürfnis abginge; es wäre mir die Möglichkeit genommen, mich meiner individuellen Veranlagung nach ausleben zu können.

– Es wäre vielleicht besser, das Bild nicht zu zei-||gen; ich bin zwar keine Vogelscheuche; doch Gesichter sind Geschmackssache, abgesehen davon, daß man vor persönlichem Kennenlernen ungleich schärfer Kritik anlegt, auch an die äußeren Verhältnisse, als nachher.

Insofern, hochgeehrter Herr Professor, dürfen Sie mich mit gutem Gewissen empfehlen, als ich mir zutraue, einen Mann glücklich machen zu können. Meinem Empfinden nach liegt darin die Hauptbefriedigung für || die Frau. Wenn ich aber auch sagte, ich sei von Natur selbständig, so empfinde ich dochf ganz als Weib und fühle mich umso glücklicher, je demütiger ich empfinden kann, je mehr der Mann mir überlegen ist. Ein Beispiel davon sehen Sie an meiner rückhaltlosen Bewunderung Ihnen gegenüber.

Was den etwa inbetracht kommenden Herrn anbelangen würde, so verlasse ich mich hinsichtlich dessen Wahl ganz auf Ihr Urteil u. Ihren Geschmack. || Ich weiß, daß Sie mir keinen degenerierten Menschen empfehlen; nur eine Bitte möchte ich aussprechen: keinen zu kleinen Herrn; gegen solche habe ich eine von Mutter u. Großmutter überkommene Abneigung.

Zum Schluß noch vielen Dank für die freundlichen Zeilen von Ihrer Hand u. für Ihr liebenswürdiges Anerbieten.

Dürfte ich um gefällige Antwort bitten, auch um Rücksendung der Photographie, unter F. G. 2, Offenburg?

In aller Hochachtung!

Ihre ergebene F G 2

a korr aus: Daß; b eingef.: mit; c eingef.: mich; d eingef.: zu; e korr. aus: interessieren; f eingef.: doch

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
??.??.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 9501
ID
9501