Geheeb, Adalbert

Adalbert Geheeb an Ernst Haeckel, Geisa, 20. November 1875

Geisa 20/11. 75.

Eisenacher Oberland

Theuerster Herr Professor!

Wenn es wahr ist, daß demjenigen, dessen man lebhaft gedenkt u. von dem man fortwährend spricht, die „Ohren erklingen“, so müssen Sie, lieber Herr Professor, seit 8 Tagen am heftigsten „Ohrenbrausen“ leiden, was mir allerdings leid sein sollte. Denn seit vorigem Samstag Abend, wo ich in der „Rundschau“ Ihren Aufsatz über „Brussa u. d. asiat. Olymp“ gelesen, bin ich in der größten Aufregung, – ich habe den Artikel verschlungen, || wiederholt verschlungen u. noch einmal mußte ihn meine liebe Frau mir vorlesen. So Etwas ist noch nicht dagewesen! Solche Fülle von Naturgenüssen und von solcher Feder geschildert! – Wie glücklich sind Sie und wie dankbar bin ich Ihnen, daß Sie die wunderbare exotische Natur in solcher Farbenpracht uns vor die Seele zu zaubern verstehen! –

Damit soll indessen keineswegs gesagt sein, daß erst dieser Artikel mich an den geliebten Lehrer auf den Deutschland mit Stolz blickt, wieder erinnert habe; bewahre, ich bin Ihr beständiger Gedankengast sitze oft im Geiste zu Ihren Füßen im Colleg; Ihren Worten lauschend, die schon damals (1865), || als ich’s noch in Wirklichkeit thun konnte, so ungemein anregend wirkten. Und Ihr einziges Werk, Ihre „Schöpfungsgeschichte“, 5. Auflage, mit Ihrem lieben Portrait geziert, ist die Zierde meiner kleinen Bibliothek, – u. so oft ich einen Vortrag lese, ist’s mir eine festliche Stunde. –

Ihre Brussafahrt jedoch war etwas zu Unerwartetes, daher zu Fesselndes, – ich wußte wohl, daß Sie damals den Orient bereisten, ahnte aber nicht, daß Sie neben Ihren Fachstudien auch die Eindrücke jener Natur mit solcher Innigkeit aufgenommen u. mit heimgebracht haben. Nur hat mir das Herz geblutet, als ich jene „schwellenden, saftgrünen || Moospolster“ am Olymp sah, ohne zu wissen, was für ein Hypnum oder Bryum es gewesen, u. jenes Hochmoor unterhalb des Schneegipfels überschritt, ohne es analysiren zu können! Wie unbeschreiblich glücklich wäre ich, wenn Sie mir ein Pröbchen, ein Fragment nur, von jenen Moosen mitgebracht hätten! Ja, ich möchte fast die Bitte laut werden lassen, doch freundlichst nachzusehen, ob an Ihren botanischen Erinnerungen vom Olymp, an jenen zierlichen Alpenpflänzchen, nicht irgend ein Moos, in den Blattrosetten oder an den Wurzeln verborgen, sich vorfinden sollte? ein einziges Stengelchen, ja ein Blättchen nur: und die mikroskopische Untersuchung wird mir sofort zeigen, was es ist. Seit Milde’s klassischem Werk („Moos-||flora von Nord- u. Mitteldeutschland, 1869“) ist das Studium der sterilen Moose so riesig fortgeschritten, daß auch aus dem Zellgewebe eines einzelnen Blättchens (in d. meisten Fällen wenigstens) nicht nur die Gattung, sogar die Art bestimmt werden kann. Und welche Moosschätze mögen in Kleinasien noch zu haben sein! –

Als Ihr letzter lieber Brief v. 1868 ankam, der mir so große Freude machte, da ahnte ich nicht, daß mir noch große Moosfreuden zu Theil werden würden. Jetzt sehe ich aber, daß ich damals noch schrecklich unwissend war in der systematischen Kenntniß des europäischen Moosmaterials, ohne jedoch mir anmaßen zu wollen, daß ich jetzt Etwas weiß. Aber mein Blick ist unendlich geübter, meine literarischen Hülfsmittel sind ziemlich bedeutend, die Sammlungen sogar || kolossal geworden – u. was das Angenehmste für mich, daß ich mit den meisten Fach-Bryologen Europa’s nicht nur bekannt, sondern freundschaftlich durch steten Brief- u. Tauschverkehr verbunden bin. –

Um nochmals auf den Orient zurückzukommen, so liegen mir leider nur die Moose vor, welche Prof. Haussknecht in Weimar aus Persien u. Syrien etc. mitbrachte. Allein diese sind nicht geeignet, auch nur ein schwaches Bild von der Moosflora der dortigen Gebirge zu geben, da alpine Arten, selbst aus Höhren[!] von 10–12000ꞌ, fast gänzlich fehlen. – Und so habe ich zur Zeit nur in Athen den Hr. Direktor Dr. Th. von Heldreich, der mir herrliche Phanerogmensendungen macht, || u. auf meine Anregung hin den Moosen eifrig nachspürt. Vom Pentelikon, von Creta u. Cefalonia sind deren gekommen, aber leider nur gewöhnlichere Arten! –

Sonst habe ich dort Niemanden. Am meisten gespannt bin ich auf die bryologischen Verhältnisse der Türkei, – die in der That eine terra a incognita ist. Wenn Sie je wieder nach dem Orient kommen – ach! liebster Herr Professor, bitte, gedenken Sie meiner! Einfach in Briefcouverts gelegt, oder zwischen Packpapier versandt – das Porto zahle ich gerne, thalerweise! Ja, selbst als Emballage sind mir die Moose herzlich willkommen, indem Sie solche zur Umfüllung und zum Ausfüllen leerer Stellen in Kiste oder || Koffer benutzen. Freilich müßte ein kleines Zettelchen mit daraufstehender Standortsangabe, beigelegt sein jeder einzelnen Art, jedem Rasen. – Oder wenn Sie wieder tiefer in den sonnigen Süden eilen, nach den canarischen Inseln oder Sicilien, – wie innig dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie den Moosen ein liebendes Auge schenken u. Alles mitnehmen wollten, was Ihnen auffällt!! –

So, nun habe ich Ihnen mein Herz ausgeschüttet. Freilich schwebt mir noch eine andere Bitte auf den Lippen: der innige Wunsch, Sie möchten bald einmal in mein Revier kommen, in das basaltische || Rhöngebirge, vorher aber in Geisa bei uns einkehren, in meinem „Gasthaus zum grünen Moose“! Das sollte eine Freude sein, für Frau, die 4 Kinder u. mich! Vielleicht ist Ihnen dieser an Naturschönheiten so interessanter Theil von Mitteldeutschland noch nicht genauer bekannt geworden, u. mich würde es mit Freude u. mit Stolz erfüllen, Sie mit dem Heere von prächtigen Basaltkegeln, mit den weiten, duftigen Blumenwiesen u. den ernsten Hochmooren bekannt zu machen. Wie schön, wenn Sie Pfingsten herkämen, oder noch besser in den großen Ferien! Habe ich doch schon manchen Naturforscher zu Gaste gehabt u. keiner verließ die Rhön ohne Befrie-||digung! – Zu Hause aber, in meiner Moosstube, führe ich Ihnen die schönsten Typen aller Herren Länder vor unter denen die Prachtmoose der Fidschi-, Samoa- u. Tonga-Inseln (aus dem Museum Godeffroy stammend) wohl die hervorragendsten sind. Aber auch die Schweinfurth’schen Moose aus Central-Africa, u. selbst die wenigen, winzigen Möschen, welche Prof. Ascherson aus der libyschen Wüste mir mitbrachte, sind von Interesse. – Dann die Moosbilder! Der 6. Band, Sie haben damals in Jena nur den 1. und 2. gesehen!b ist voriges Jahr vollendet. Unter diesen neuen Compositionen sollen, wie man sagt, die nordischen Landschaften der Splachnaceen das Material direct aus Lappland erhalten, ganz frisch gesammelt, – prachtvoll!!c die gelungensten sein. Während diese das Moos als „In-||dividuum“ darstellen, zeigen Ihnen einige neuere Versuche die Moose als „Massenvegetation“, – Berg, Hügel, Fels, – selbst das Wasser ist veranschaulicht, ohne Malerei, ohne künstliche Effecte, – einfach der Leucobryum-Typus mit seinem glaucösen Kolorit ist es, der jenes Element ziemlich täuschend nachahmt. –

Nun habe ich dieses Jahr etwas Anderes angefangen, – die Familien der Farne, Selaginellen u. Equiseten aus allen Ländern in Bildern zur Anschauung zu bringen gesucht.

4 Tableaux sind fertig, – 60 Centimeter breit, 50 Centimeter hoch ein jedes, ich bedaure wirklich, dieselben Ihnen zur Ansicht nicht zusenden zu kön-||nen, da das große Format zur Versendung nicht geeignet ist. Auf 2 Stühlen ruht die riesige Mappe, welche noch andere Gruppenbilder z.B. die Gramineen, die Cyperaceen, auch die Lycopodien, aufnehmen soll. –

Die royal gardens von Kew u. der botanische Garten von Berlin haben mir, was Gefäßcrypotgamen anbelangt, das reichste und herrlichste Material (gegen seltene europäische Moose) zur Verfügung gestellt. – Unserm allverehrten Alexander Braun habe ich, zur Feier seines 70. Geburtstags, durch einen „Moosgruß“ (eine Thamniumgruppe, von Hypnum praelongum u. Mnium rostratum, umrankt) eine große Freude gemacht. Jetzt aber genug, fast fürchte ich, Sie zürnen mir ob der langen Zuschrift. Ich aber kann nie aufhören, in Liebe u. Dankbarkeit Ihrer zu gedenken, u. bitte Sie, die herzlichsten Grüße entgegen zu nehmen.

Ihr treu ergebener Schülers A. Geheeb. ||

den 21. November früh.

Sie sehen, verehrtester Herr Professor, ich muß noch einen Anhang an den langen Brief machen: u. wenn noch 10 Bogen geschrieben würden, die armseligen Worte könnten Ihnen nimmer ein Bild geben von den Gefühlen der Liebe u. Verehrung, die mich für Sie erfüllen. Wirklich, ich zittere jedesmal vor Freude, wenn in irgend einer Zeitschrift ein Artikel von Ihnen oder über Sie erscheint, – es ist mir, als ob auch ich ein winziges Theilchen von dem Triumphe mitempfinden dürfted, den Sie feiern. So hat uns z. B. jener Gartenlaubenartikel, in welchem der Dichter Allmers füre Ihr liebesf Söhnchen in so tiefpoetischer und geistvoller Weise die Pathenstelle annimmt, ungemein interessirt, um so mehr, als meine liebe Frau u. ich gerade kurz vorher dessen „römische Schlendertage“ || mit Entzücken gelesen hatten. –

Ich hatte nämlich vergessen – u. deshalb die heutige Nachschrift! – ich hatte gestern rein vergessen, die innigsten Wünsche für das Wohlergehen Ihrer hochgeschätzten Familie beizufügen, namentlich die Bitte, Ihrer verehrten Frau Gemahlin meinen respectvollen Gruß zu melden. – Mögen Sie recht viel Freude an Ihren lieben Kindern erleben! –

Meine kleine Familie besteht aus folgenden Köpfen:

Otto, 7 Jahre alt, Paul, 5, Reinhold, 3 u. die liebe kleine Anna, g 8 Monate, – die größte Freude u. der Stolz der Mutter! Die beiden ältesten Knaben haben schon mehr sehen gelernt, als Mancher im 20. Jahre, – Insecten, die winzigsten || sogar werden beobachtet – im Hausgärtchen werden „Käfer auf die Weide getrieben“, – Moose u. Flechten aller Art herbeigeschafft, u. es ist allerliebst zu sehen, wie diese Knaben jetzt in der Stube sich stundenlang an den Moosen ergötzen, die von meinem Arbeitstische abfallen. –

Auch vergaß ich, Ihnen zu sagen, daß ich ein vorzügliches Mikroskop habe von Leitz in Wetzlar, – nachdem ich Jahre lang durch ein schlechtes Wasserlein’sches Instrument (aus Berlin) Tausende von Moosen untersucht hatte. –

Über meine „Rhönexcursionen“ führe ich ein „Wanderbuch“ – ich habe seit Februar 1869 an 800 Excursionen gemacht! Da kann man das Gebirge kennen lernen, das in seinem Moosreichtum || (370 Arten habe ich schon aufgefunden, mit mehreren nordischen, 2 nordamerikanischen, vielen alpinen u. 1 Seestrandsart, – ja auch das Kreidemoos von Rügen haben wir hier auf Muschelkalk!!) wohl einzig in Deutschland dasteht. –

Die oben erwähnte Equisetenlandschaft, welche ich vor 3 Tagen vollendete, macht einen eigenthümlichen Eindruck u. erinnert mich immer an das Victor v. Scheffel’sche Lied im Commersbuch: „Es rauscht ein den Schachtelhalmen,“ … etc. –

Bei allen diesen großen Bildern sind die Moose zur Darstellung des Grundes oder zur Ausschmückung benutzt worden. –

Noch muß ich Ihnen sagen, daß ich durch die Güte des Dr. Röll eine prachtvolle Photographie von Ihnen besitze, wie es scheint, das Original des Porträts in Ihrer Schöpfungsgeschichte. – Meine Porträtsammlung europäischer Naturforscher zählt bereits an 150 Nummern, aus fast allen Staaten. – Nun aber Punktum! Ich grüße Sie nochmals in treuer Anhänglichkeit A. Geheeb.h

a gestr.: ig; b mit Einfügungszeichen eingef.: Sie haben … 2. gesehen!; c mit Einfügungszeichen eingef.: das Material … gesammelt – prachtvoll!!; d eingef.: dürfte; e eingef.: für; f korr. aus: Ihrem lieben; g gestr.: ½ Jahr!; h weiter am Rand v. S. 16: nochmals in … A. Geheeb.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
20.11.1875
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 950
ID
950