Anonym

Anonym an Ernst Haeckel, Minden, 30. März 1906

Minden den 30 März 1906

Herr Professor!

Sie haben die Welträtsel veröffentlicht, weshalb es den Lesern derselben gestattet sein möge, über einige Punkte Aufklärung zu erbitten; und da es Ihnen nicht zugemutet werden kann, jedem Frager zu antworten, so wäre es wünschenswert durch einen Anhang zu den Welträtseln die Fragen u. Antworten zu verallgemeinern.

Mein erstes Bedenken beim Lesen Ihrer Welträtsel erregte die Behauptung: „Wer richtig denke, müsse notgedrungen Ihrer Ansicht sein, daß der Monismus die einzig richtige Wahrheit sei.“ Ist das nicht Selbstüberhebung? Was ist Monismus? … Nichts anderes als materieller Atheismus oder atheistischer Materialismus.

Wenn Sie diese Bezeichnung in Ihrem Werke auch ableugnen wollen – ja beileibe kein Materialismus, – kein Atheismus – so ist meine Ansicht doch wol die richtigere; denn wer keinen Gott anerkennt, die Existenz desselben leugnet ist eben Atheist; und wenn der Stoff, die Materie alles ist, ist eben Materialist.

Vielleicht daß ich als Laie, die Tiefe Ihres Forschungsgeistes nicht zu ergründen verstehe, darum zu etwas anderem.

Sie behaupten, der Mensch stamme vom Affen und auf diese Behauptung hin bringen Sie in Berlin ein Hoch auf Ihre Affenabstammung aus. Wenn Sie das so genau erforscht haben, dann werden Sie wol auch den weiteren Stammbaum rückwärts bis zur Zelle und noch darüber hinaus kennen. Es wäre der ungläubigen Menschheit von größtem Interesse, diesen Stammbaum kennen zu lernen, vielleicht auch einige Jahrmillionendaten zu erfahren. Die Monate oder Wochentage fallen dabei gar nicht in’s Gewicht.

Nur über eins kann ich nicht hinwegkommen, daß trotz Ihrer Affenabstammungslehre die Wissenschaft Menschenblut von Tierblut zu unterscheiden vermag. Oder gehören die Affen schon nicht mehr zu den Tieren? – Auch || habe ich in Ihren Welträtseln nichts darüber gelesen, in welcher Weise die Änderung und Wandlung von Stufe zu Stufe vor sich geht, ob durch Zeugung oder … Wird sich der Mensch allmälig noch zu höheren Stufen hinauf winden? – Wenn nach Ihrer Behauptung die Zelle der Ursprung ist aus der sich höhere Wesen entwickeln, wozu dann die Zeugung? Die Fortpflanzung müßte ja dann ganz von selbst vor sich gehen. Eine deutsche Dame, die sich schon mehrere Jahrzehnt in England aufhält, behauptete vor einiger Zeit, die Menschheit könne auch ohne Männer fortbestehen. Eugen Dühren behauptet in seinem Werke „Sade und seine Zeit“ die ersten Menschen seien Zwitter gewesen und habena sich nach und nach in zwei Geschlechter umgewandelt. – Sind nun diese Zwittermenschen Halbaffen gewesen? So lange die Forscher im Zwiespalt liegen, ist es mit der Lösung der Welträtsel noch nichts.

Bezüglich der Zuchtwahl habe ich mich mit tüchtigen Oekonomen unterhalten und dabei die Frage aufgeworfen, ob, wenn der Mensch vom Affen abstammt, sich ein Roggenkorn nicht in Weizen, Hafer in Gerste umwandeln könne. Die Herren lachten mich aus, obwohl sie die Affentheorie für möglich hielten, da Darwin und Häckel es behaupten. Sie zeigten mir in der Woche ein Bild: Häckel mit einem Affenskelett, und ich muß gestehen, ich fand selbst zwischen beiden eine frapante Ähnlichkeit. Wenn auch die Extremitäten in der Länge verschieden waren, Knochen bleiben doch immer Knochen ob vom Affen oder Menschen.

Nun zum Schluß noch Eins, was mir beim Lesen der Welträtsel gehörig imponirte. Sie mögen (und das setzen Sie bei allen andern Männern selbstverständig voraus), wenn es ein Fortleben nach dem Tode gibt, beileibe nicht mit Ihrer Ehehälfte geschweige mit zwei oder mehreren die || Ewigkeit beisammen verbringen. Das aber läßt ein grelles Licht auf Ihr Eheleben (vorausgesetzt, daß Sie verheiratet waren) fallen.

Auch dem angeblichen Schmutz in den Klöstern kann ich nicht beistimmen, denn ich habe nicht nur in Deutschland sondern auch in anderen Ländern in den Klöstern die größte Reinlichkeit gefunden, was ich aber nicht immer in den Familien unserer berühmten Gelehrten bewährt gefunden habe. Ich könnte Ihnen da Dutzende von unsauberen Kandidaten herzählen.

Mit größter Hochachtung

Ihr

ergebenster

Peter

Landmesser.

a eingef.: haben

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
30.03.1906
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 9498
ID
9498