Adelung, Olga von

Olga von Adelung an Ernst Haeckel, Freudenstadt, 12. Juli 1914

Freudenstadt, 12. Juli 1914.

(Schwarzwald.)

Hochgeehrter Herr Professor,

schon längst drängt es mich, Ihnen einige Zeilen zu schreiben, doch gieng es mir wie wohl den meisten Menschen, – die Prosa des Lebens forderte ihre Rechte u. ließ mir keine Zeit dafür u. ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß Sie damals, im Februar, dermaßen von Glückwunschschreiben überflutet wurden, daß mein Brief sicher unbemerkt in der Masse verschwunden wäre. Nun aber möchte ich Ihnen vor allem, wenn auch sehr nachträglich, so doch von Herzen wünschen, daß Ihnen nach all Ihrem Wirken u. Schaffen, Ihrem rastlosen Forschen u. Streben noch eine schöne Reihe goldener Arbeitstage beschieden sein möge zum Wohl auch Ihrer Mitmenschen, denen Sie den Weg zum Suchen u. Finden der Wahrheit u. Schönheit in der Natur gewiesen haben. – Auch meinen aufrichtigen Dank möchte ich Ihnen sagen für die Anregung u. Belehrung die ich schon durch Sie erhalten habe. Schon seit meiner Kindheit fühlte ich mich zur Natur hingezogen u. fand auch viel Gelegenheit u. Ermunterung zur Beobachtung der Vorgänge im Tier- u. Pflanzenleben. Die letzten Jahre, die mir allerlei Schweres brachten, ließen wenig Zeit für meine naturwissenschaftlichen Interessen, umsomehr aber erfreue u. erquicke ich mich an dem, was ich zwischendrein genießen kann. Letzten Winter waren es Ihre herrlichen Kunstformen der Natur, die mich erfreuten – ich hielt in der Stuttgarter Volksbibliothek meinen alljährlichen Vortrag || über das Thema „Die Natur als Künstlerin“ ich hatte mir erlaubt, den Titel dem schönen Buche zu entlehnen, das damals eben erschienen war, das ich schon kenn und lieben gelernt hatte u. später auch oftmals zu erfreuenden Geschenken verwendet habe.a wozu mir ein guter Freund, Herr Schürmann, (der sich seinerzeit von Ihnen die Erlaubnis erbeten hat, sich eine Serie Diapositive nach den Kunstformen d. Natur anzufertigen für Vorträge in Arbeitervereinen) eine Lichtbilderserie lieh. Zur Zusammenstellung des Textes hatte ich leider nicht die nötige Zeit um ihn so, wie ich gewollt hätte auszuarbeiten – doch die Bilder wirkten schon an sich begeisternd auf mein Publikum, das durch einen glücklichen Zufall an diesem Abend ganz besonders zahlreich erschienen war. Der Vortrag fand wenig Tage nach dem 16. Februar statt u. wir gedachten mit dankbarem Glückwunsch des Namens, dem wir neben vielem anderen die Bekanntschaft mit den wundervollen „Kunstformen“ verdanken. Der Eindruck, den speziell die zauberhaft schönen Radiolarien auf mein Publikum machten, war herzerfreuend: in stummer Andacht saßen meine Zuhörer (zum großen Teil aus jungen Lehrern, Kaufleuten u. auch Arbeitern bestehend) da, und nachher bekam ich von verschiedenen Seiten zu hören, wie groß der Genuß der schönen Bilder gewesen sei. Nächsten Winter hoffe ich, den Vortrag in den Stuttgarter Lehrlingsheimen zu wiederholen u. auch da ein dankbares Publikum zu finden.

Augenblicklich befinde ich mich mit meiner Schwester in der Sommerfrische in Freudenstadt, wo wir die herrlichen Tannenwälder genießen. Sonst leben wir in Stuttgart.

Mit dem Ausdruck nochmaligen Dankes und den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen

Ihre ergebene Olga von Adelung.

a eingef. am unteren Rand von S. 2: ich hatte mir … Geschenken verwendet habe.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.07.1914
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 9054
ID
9054