Aixner, Hans

Hans Aixner an Ernst Haeckel, Schüttenhofen, [1917]

Ew. Excellenz! Sehr geehrter Herr Professor!

Lange, lange hat es gedauert, bevor ich den Beschluss fasste, dieses Schreiben an Sie zu richten. Lange konnte ich unscheinbarer Mittelschüler mich nicht entschließen es zu wagen, direkt an Sie zu schreiben; der Drang danach war jedoch stärker als ich selbst.

Bereits seit meiner frühesten Jugend fühlte ich mich zu den Naturwissenschaften gezogen, von meinen Ersparnissen habe ich mir ein kleines chemische La-||boratorium eingerichtet, in welchem ich die verschiedensten chemischen, physikalischen und biologischen Versuche anstelle.

Es war im Jahre 1914, als ich im Alter stand, in dem man sich um alle Fragen über Himmel und Erde, Gott und Natur, und dergleichen mehr zu interessieren beginnt. Ich begann damals selbstständig zu denken; es bäumte sich zum erstemmale mein ich gegen den dogmatischen Unterricht unserer Mittelschulen auf, und doch schied ich so schwer von meinem Gott, den ich bis dato innig ange-||betet habe. Damals dämmerte in mir die Erkentniss [!], dass sich dies alles unmöglich mit der reinen menschlichen Vernunft zusammenreimen lässt; infolgedessen war ich unzufrieden mit dem Leben, mit der Welt und mit mir selbst.

Nach und nach entstanden in meinem Hirne eigenartige Gedanken. Der Katolizismus sagt: Gott ist allmächtig, unfehlbar, höchst weise und gerecht. Und ich denke: Die Natur ist auch allmächtig, unfehlbar, höchst weise und gerecht; wie wäre es, wenn ich Gott den Allmächtigen || in der Natur selbst suchen wollte? – Ich war seit je ein leidenschaftlicher Wandervogel; ich durchstreifte oft im Sommer und Winter mit der grössten Lust die Berge, Wälder, Seen und Filze des nahen Böhmerwaldes; unzähligemale bewunderte ich zu jeder Jahreszeit die wunderbaren Sonnen Auf- und Untergänge und halte es bisweilen aus, die ganze Nacht im Freien zu verbringen, um irgendeine Himmelserscheinung zu beobachten. –

Und damals, als ich mich in derartigen Collisionen befand, stöberte ich || in meines Vaters Bücherschrank ein höchst eigenartiges Buch auf: Ernst Haeckel, Die Welträtsel. Ich begann darin zu blättern; „Gott und Welt, Einheit der Natur, Unsere Stammesgeschichte“ – halt, das war etwas für mich! – Wie einen kostbaren Schatz trug in den roten Band in meine Kammer und las. ‒ Vieles, sehr vieles begriff ich überhaupt nicht; doch fand ich sozusagen alle meine „närrischen“ Einfälle darin bestätigt; überhaupt verursachte das Buch in meinem Innerem eine gewaltige Revolution; Ich müsste den Glauben mei-||ner Väter aufgeben, um für das Wissen Platz zu bekommen!

Dann kam ich in die fünfte und sechste Realschulklase [!].: Da lernte ich Botanik, Zoologie, Physik und Chemie; dabei lernte ich auch die Bedeutung vieler Fachausdrücke und spezieller Fremdwörter kennen, so dass mir die „Welträtsel“ erst verständlich wurden. Da las ich diese zum zweitemmal, dann zum drittem und zum viertemmal. Es war eines Abends, als ich sie zum viertemmal beendete; den nächsten Morgen wachte ich mit || geklärten Gedanken und einer neuen Weltanschauung, die mich vollends befriedigte, auf. Ich war begeistert. Und nächste Weihnachten fand ich unter dem Christbaume: „Die Lebenswunder“, mit welchen ich nachher meinen Zoologieprofessor verblüffte. Dann kaufte ich mir noch selbst: „Gott Natur“ und „Natur und Mensch“. – Heute las ich den „Ersten internationalen Monisten-Kongress“ zu Ende, ich klappte das Buch zu und mein Entschluss stand fest, ich ergriff die Feder und schrieb; denn ich konnte meine Begeisterung für Sie und den Monismus nicht mehr bändigen. Ich bin – trotz meinen 18 Jahren – ich gesteh es offen – nicht sehr weit davon, Sie als einen Halbgott zu verehren und bewundern.

Ihren herrlichen Reiseschilderungen entnehme ich, dass Sie nicht nur ein grosser Gelehrter und Philosoph, sondern auch ein poetisch fühlender Naturfreund, ein Wandervogel sind; ich stiess einen Juchzer aus, als ich mit Ihnen in „Brussa und der Asiatische Olymp“ den letzteren bestieg und erklomm. ||

Jetzt gestatte ich mir noch, mich Ihnen vorzustellen: Ich bin 1899 geboren, besuche jetzt die VII., also die letzte Klasse einer Österreichischen Realschule, und will mich nach bestandener Reifeprüfung dem Studium der technischen Chemie widmen.

Also entschuldigen Sie, bitte, dass ich es gewagt, dieses Schreiben an Sie zu richten, ich erwarte kaum eine Antwort, bin auch moralisch dazu nicht berechtigt; Sie brauchen doch Ihre Zeit gewiss zu nützlicheren Dingen, als a sie wegen einem unscheinbarem Mittelschüler zu vergäuden; es genügt mir, || wenn Sie wissen, dass auch unter uns Deutschösterreichs Jungen Herzen sind, die für Sie, ihre Ideen, und den Monismus schlagen.

In tiefster Ehrfurcht

Hans Aixner,

stud. VII. real.

in Schüttenhofen

K. K. Oberrealschule

Böhmen.

a gestr.: diese

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
1917
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8894
ID
8894