Allmers, Hermann

Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 10. März 1860

Rechtenfleth, den 10. März 1860.

Das war eine rechte Herzensfreude und eine köstliche Überraschung, als ich den lieben langen Brief öffnete und mir der ganze liebe gute a sanfte Kerl daraus entgegenschaute, mit den treuen Augen, wie er leibte und lebte und liebte in „den seligen Tagen von Capri“ daß ich fast laut aufjubelte und aus tiefster innerster Seele ein entzücktes „Donnerwetter“! losließ. –

Auch Nichts fehlte ja daran, von teurem Fünfbajochut bis zur treuen Unaussprechlichen oder besser gesagt unaussprechlichen Treuen, die so rührend Dir anhing in hingebender Liebe, aufgelöst vor Seligkeit, die weit b aufging wie Dein Herz, um Sonnenglanz und Himmelsbläue und Orangenduft und Meereswogenlieder – kurz alle Pracht und Wonne des schönen Südens ins bewegte Innere strömen zu laßen. Welche Freude für mich als ich sie wiedersah die Gute. Aber auch keiner der andern c alten Bekannten fehlte: der unvermeidliche Aquarellirapparat nebst der Wasserflasche war da um verrückte Felsenmißgeburten zu verewigen, der alte gute Steinhammer mit dem gebrochenen Genicke und endlich der schwere Packen, ohne dessen Last zu schleppen ein echter Wandrer sich stets unbehaglich fühlt d – Alles und Jedes war da um mich aufs Lebendigste wieder in die schöne freie und fröhliche Zeit jener unvergeßlichen Tage zurück zu versetzen. Vielen vielen Dank dann e für die Freude, mein Junge.

Als ich mich nun recht an dem Bilde geweidet hatte las ich den Brief, der mich wahrlich nicht minder f durch seinen frischen vertrauensvolleng Ton freute. Und wie sollte er nicht. War doch auch nicht eine Spur von all dem kleinmüthigen Zagen und Klagen darin, das ich so oft in Neapel oder Capri genießen mußte wenn einmal einer alten Qualle einfielh || Deinen neugierigen und zudringlichen Späheraugen ihr Inneres zu verschließen, eine Handlungsweise, die ich dem armen Thiere niemals verdacht habe. – Aber ich weiß genugsam wie mulsterig Dich das immer machte, wenn Du keine Neuigkeiten erfuhrst. –

Und jetzt also Du Beneidenswerther hast Du die Menschheit mit fünfzig, schreibe 50. Stück nagelneuer niegeahnter Bestien bereichert. Du Glücklicher! Deine Wonne bini ich wohl im Stande zu ahnen aber nicht, sie zu fühlen. Welch einen Triumphzug wirst Du durch das deutsche j dankbare Vaterland halten, welch einen Einzug ins Brandenburger Thor! Wann wirst Du ihn halten? –

Daß ich doch das Glück hätte ihn als Ceremonienmeister zu arrangiren. Zwölf Taucher aus der Nachbarschaft der Skylla und Charybdis müßten den Zug eröffnen, Jeder von ihnen trüge einen langen dicken Halm unsres neu entdeckten Rohrs und von der Spitze desselben schaute dann ein herrlicher Seestern mit neuentdeckten weitgeöffneten Augen k freudestrahlend auf die bewegte staunende Menge. l Dann kämest Du, im Capricostüm oder in einem noch etwas leichtren (vielleicht so, wie ich zuletzt Dich schaute) thronend in einem Muschelwagen oder auch m in einem, der die Gestalt eines Mikroskops hätte, gezogen von n sechs meergrünen Seepferden, die natürlich der berühmte Bildhauer Franz modelliren müßte, einen Kranz von Seegras auf dem Haupte – in den Händen Gar nichts als den leergewordenen Geldbeutel und hinter dem Wagen schlößen den Zugo dann 50 dunkeläugige Knaben Siciliens, Jeder auf einem purpurnen Sammtkissen eine neuentdeckte Radiolaria tragendp, entweder ausgestopft oder lebendig zappelnd in einem Einmacheglas voll Seewaßer.

Unter den Klängen des Meermädchengaloppsq aus Oberon bewegte sich so dann der Zug die ganzen Linden entlang durch die unter Befehl Vater Wrangels aufgestellte höhere Junkergarde bis r Spargnapani, wo ein Halt von 10 Minuten stattfindet. Nachdem der Besitzer ders t Conditorei aufs feierlichste einen Berliner Pfankuchen dem Triumphator überreicht hat und der bekannte || Hermann Allmersu an der Spitze seiner 10.000 Freunde eine schöne Rede gehalten, ein Gedicht überreicht und eine inbrünstige Umarmung vollzogen, setzt sich der grandiose Zug wieder feierlich in Bewegung, abermals unter den Klängen des Meermädchengaloppsv, zieht dann dreimal um das Denkmal des alten Fritz herum und nimmt seine Richtung gerade auf die Akademie der Wissenschaften vor der sämmtliche alten Akademiker in Reih und Glied stehen. Hier hält der Zug. Tiefe Stille. Jeder Seestern besieht w mit seinemx neuentdeckten Auge staunendy einen alten Akademiker, jeder alte Akademiker besieht sich staunend eine neuentdeckte Radiolaria. Dann hält ein alter Akademiker eine schöne Rede, die aber nicht länger als höchstens 1½ Stunden dauern darf, darauf antwortet der Triumphator mit einer andern, die schon etwas länger sein kann und hierauf wird derselbe von der ganzen Akademie feierlichst zum außerordentlichen Professor ernannt und zwar zu einem der außerordentlichsten, die überhaupt je z ernannt worden sind. – Nachdem schließlich noch ein paar schöne Reden natürlich lateinische, hinüber und herüber aa bewerkstelligt sind, setzt sich der Zug nach derbb Universitätcc in Bewegung all wo die Radiolarien feierlichst den Sammlungen einverleibt werden, dann aber kehrt er ganz in obiger Folgereihe zurück und nimmt nun seine Richtung nach dem maurischen Pallast wo er sich in unendliche Seligkeit auflöst, denn hier erwartendd die sämmtlichen seligen Seinigen sehnsüchtig den Triumphator. Nachdem die üblichenee ersten überschwenglichen Eruptionen des jubelvollen Wiedersehns vorüber, knieen die 50 Radiolarienknaben im Halbkreise auf ff ihre jetzt leeren Sammtkissen, die Musik spielt einen Choral und – die Trauung geht vor sich, worauf sofort zu Tisch gegangen wird weil man natürlich sehr hungrig ist. – || So ungefähr würde dasgg Festprogramm ausfallen, wenn ich es für jenen ewig denkwürdigen Tag zu entwerfen hätte. Doch für jetzt genug davon. –

Ich hatte erst vor mit dem Schreiben so lange zu warten bis hh Dich mein Brief in Berlin begrüßen könnte. Doch ich bedachte mich. Weiß ichs doch selber, wie jedes Wort aus dem Vaterlande doppelt lieb und werth ist, wenn ii man es in der Fremde empfängt. So mag denn die Feme dem Briefe das ersetzen, was ihm an innerm Werthe fehlt. Irgend Neues, was Dich intressiren könnte, kann ich Dir nichtjj melden. In einförmig ruhiger Behaglichkeit vergehen mir höchst angenehm und erquicklich die stillen Wintertage. Das Wetter dagegen ist sehr wechselnd. Sturm, Schnee, Frost, Sonnenschein, Hagel Regen: Alles durch einander, aber Nichts recht energisch und anhaltend. Den Januar hindurch hat mich fast ausschließlich das Abtragen meiner gehäuften Briefschulden beschäftigt. Im Februar begann ich an den römischen Schlendereien zu schreiben. Es will freilich nicht damit vorwärts wie ich wohl wünschte. Doch habe ich eine andere Schilderung vollendet die der wundersamen Stadt Ninfa in den pontinischen Sümpfen von der ich Dir wohl erzählt habe daß sie schon im 13Jahrhundert von ihren Bewohnern verlassen sei und seitdem daliege einsam, grabesstill kk und über und über bewachsen und bewuchert von einer fabelhaft üppigen Pflanzenwelt. In meinen letzten römischen Tagen wanderte ich hin und war einen ganzen unvergesslichen Tag dort einsam unter den ll Trümmern zu. mm Die Stunden zähle ich zu den merkwürdigsten meiner ganzen italienischen Reise. Den Aufsatz sollst Du bekommen. – Von unbekannter, aber wie ich vermuthe Dir sehr lieber und bekannter Hand ist mir vor Kurzem Deine Seesternaugenentdeckung zugesandt, die ich mit der gehörigen Andacht durchgelesen, bis beinahe zur Hälfte. Der Styl ist sehr poetisch nur wünschte ich einige moralische Nutzanwendungen darin zu finden und Eins vermiße ich wahrhaft schmerzlich. In der ganzen Abhandlung kommt nicht ein einziges grundherzliches Kreuzdonnerwetter oder Kreuzmillionenschockschwerenoth vor, was sich hie und nn da doch so sehr schön ausgenommen hätteoo und so wohl angebracht gewesen wäre. pp Z. B. auf Seite 188 wo Du sagst daß es Dir leider nicht geglückt sei eine ähnliche zusammengesetzte Structur an den Augenflecken andrer Echinodermen aufzufinden. Wie schön hätte qq dabei ein derber grundherzlicher Fluch Deine innere Entrüstung und Deinen Eifer bewiesen. – Sonst ist Alles sehr schön. || Auch die artistische Beilage hat mich zum Theil tief ergriffen. Eins der Bilder ist in seiner tief melancholischen Stimmung an die besten Werke der Bolognesischen Schule streifend und hat fast Etwas von Salvator Rosa. Die übrigen lassen das beginnende feine Stylgefühl des jungen hoffnungsvollen Mannes ahnen. – So ungefähr würde ich sagen, wenn ich fürs allgemeine deutsche Kunstblatt eine rr Kritik darüber schreiben sollte. – Vielen Dank indeß dafür. –

Also fast neun Skudi sind noch übrig. Kaufe lieber nicht so viele Naturalien, da ich doch nicht recht Platz dafür habe, sondern wende siess für die Fracht, für den Wein, die Amphora, die Karte vom Golf von Neapel u. s. w. an. Haben die Lüneburger Dir eine solche für mich mitgebracht? – Haben sich meine 5 verlorenen Zeichnungen wiedergefunden? Es waren die Pagano-Palme, die Crapollaschlucht, die Stadt Capri und zwei kleine Hausbildchen (sogenannte Interieurs). Alles mir sehr werth. – Sehr freue ich mich auf die Gesteine, die Du mitbringst. Suche noch ein Stück dortiger jüngster Meeresbildung zu bekommen (Sandstein voll tt Conchylienschaalen) und sodann uu recht Charakteristisches aus den nahen reichen Petrefactenlagern und Höhlen. Ganz Messina steht auf solch jungen Meeressand- und Meereskalksteinen. Und vom kleinen lustigen Stromboli erhalte ich auch wohl ein klein Andenken. Ich hätte gern eine Probe aus Lava entstandener fruchtbarer Erde, die mir in meiner Sammlung noch fehlt. Auf dem Stromboli solltet ihr einmal eine Nacht zu bringen. Das müßt gemütlich sein. Eben vor Ostern will ich uu auf einige Tage nach Bremen. Es ist dort Gemäldeausstellung und Charfreitag die Aufführung der Bachschen Passionsmusik und. Abends ist natürlich stets flotte Kneipe zu welchen Hochgenüssen ich mich fabelhaft freue; so etwas erquickt vv Leib und Seele und in Berlin mußt Du mir auch kneipen sonst verkommst Du gründlich vor lauter Gelehrsamkeit und grauer Theorie. Ich sollt nur immer bei Dir sein. Jetzt weiß ich Nichts mehr. So gehab Dich wohl mein Junge und ochse und entdecke nicht zu übermäßig, denn all zu viel ist immer schädlich. Du kannst nachgerade wohl schon etwas auf Deinen Lorbeern oder ww besser gesagt Deinen der Welt geschenkten Radiolarien ausruhen. Jüngst las ich eine treffliche Abhandlung über das große Christusbild im Mosaik der dortigen Apsis des Doms, || welches ich leider viel zu kurze Zeit angeschaut habe. Du Glücklicher kannst es täglich einige Stunden genießen versäume das ja nicht. In Berlin wird Dir so etwas nicht leicht geboten. – Vor allen Dingen aber genieße von Herzensgrund den Frühling, der dort nunxx schon in yy all seiner Blumenpracht eingezogen ist während ich hier noch aus meinem Fenster auf Eis und Schnee blicke und zz just in diesem Augenblicke an infam kalten Füßen leide die ich mir eben beim Anweisen eines abzuhauenden Baumes geholt habe. Sodann grüße meine Bekannten dort Herrn Klostermann und Dr. Bartels namentlich die quallentüchtigen jungen Lüneburger. – Den nächsten Brief aus Berlin.

Dein treuer

Allmers

Damit er sichrer überkommt, mache ich den Brief nicht frei. Du hast ja Geld von mir in Händen, so nimm davon das Porto. Romberg besuchte mich jüngst auf ein paar Tage. Er hat im vorigen Jahre Deinen Freund Betzold kennen gelernt und Viel mit ihm verkehrt. Mit noch Andern haben sie einen wöchentlichen sogenannten Kartoffel- u. Härings Abend gestiftet der ihnen die köstlichsten Stunden voll Gemütlichkeit und Humor aaa geboten hat. Von dem genialen Ulk desselben hat er mir manch Ergötzliches erzählt. – Brücke dagegen schreibtbbb mir in seinem letzten Brief, daß er sehr genau ccc mit Deinem Freunde Krabbe in Kopenhagen bekannt ist. Geh doch ja bald zu ihm wenn Du heimgekehrt bist. Noch Eins. Wenn Du einen Hirtenbuben antreffen solltest, der die Syrinx (Doppelflöte von Rohr) bläst, so gieb ihm in meinem Namen einen Carlin und bringe mir die Flöte mit. Willst Du? –

Und die viele Bummellei in diesem Briefe nimmst Du nicht. Geneckt mußt Du einmal werden, seis von wem es wolle. –

a gestr.: Ke; b gestr.: sich; c gestr.: wohlbek; d gestr.: wird; e korr. aus: dafür; f gestr.: erfreute; g korr. aus: vertrauungsvollen; h unleserlich gestr; eingef.: einfiel; i gestr.: kann; eingef.: bin; j gestr.: Vater; k gestr.: freudig; l gestr.: schauend; m gestr.: vo; n gestr.: sesch; o gestr.: können; eingef.: schlößen den Zug; p gestr.: sein; eingef.: tragend; q korr. aus: Meermädchenwalzers; r gestr.: vor die G; s korr. aus: des; t gestr.: Kaffe; u Blindprägung auf Briefpapier: Hermann Allmers; v korr. aus: Wassermädchengallopps; w gestr.: sic; x eingef.: seinem; y eingef.: staunend; z gestr.: ge; aa gestr.: ver; bb korr. aus: dem; cc gestr.: Museum in; eingef.: Universität; dd gestr.: empfangen; eingef.: erwarten; ee eingef.: üblichen; ff gestr.: leer; gg gestr.: mein; eingef.: das; hh gestr; di; ii gestr.: es; jj gestr.: Gar nichts; eingef.: nicht; kk gestr.: über; ll gestr.: Trümmern; mm gestr.: Es; nn gestr.: hat; oo eingef.: hätte; pp gestr.: einige Stellen; qq gestr.: sich; rr gestr.: Re; ss gestr.: benutze und spare es lieber mit; eingef: wende sie; tt gestr.: Mu; uu gestr.: etwas; uu gestr.: mir; vv gestr.: und stär; ww gestr.: Dein; xx gestr.: wohl; eingef.: nun; yy gestr.: gan; zz gestr.: in die; aaa gestr.: be; bbb gestr.: meldet, eingef.: schreibt; ccc gestr.: die

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
10.03.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8612
ID
8612