Carl August Korsch an Ernst Haeckel, [ohne Ort], 26. Dezember 1900
Hochgeehrter Herr Professor!
Angesichts der Bedeutung, welche Sie in Ihrem neuesten Werke „Die Welträtsel“ dem Vogtschen Substanzbegriffe beilegen, gestatte ich mir, Sie auf mein mit dem Werke Vogt’s zugleich (1897) erschienenes Buch „Die Welt und ihre Umgebung“ aufmerksam zu machen. Dieses Buch ist Ihnen wahrscheinlich nur aus dem Grunde unbekannt geblieben, weil es in einem obscuren Verlag erschienen ist, auf den ich in meiner Unkenntniß der näheren Verhältnisse hineingefallen bin. Mit der durch diesen Verlag vertretenen Geistesrichtung habe ich nichts zu thun; ich stehe vielmehr auf dem Boden Ihres Monismus, || wenngleich ich zu anderen Schlußergebnissen gelange, wie Sie beim Lesen des Werks selbst finden werden, wenn Sie das in Kreuzband beifolgende Buch der Ehre würdigen wollen, von Ihnen gelesen zu werden. Das Werk untersucht nur das dem naturwissenschaftlichen Versuch verschlossene Gebiet und führt die Weltentwickelung überall nur bis zum Anschluß an die bereits erforschten Erscheinungen, wie z.B. Seite 226 bis zu Ihrer Gasträatheorie. Da ich kein Naturwissenschaftler bin, so mag wohl manche Ungenauigkeit und unrichtige Auffassung mit unter gelaufen sein. Trotzdem wage ich zu hoffen, daß meine Grund-||anschauungen Ihnen immerhin bemerkenswerth erscheinen werden.
Neuerdings hat mich eine in der naturwissenschaftlichen Wochenschrift enthaltene Bemängelung der subjektiven Grundlagen meines Werks veranlaßt, diese Grundlagen in einer mehr wissenschaftlich gehaltenen Abhandlung noch zu vertiefen. Ob und wann diese Abhandlung im Druck erscheinen wird, weiß ich jedoch nicht, da mir keine zur Aufnahme bereite Zeitschrift bekannt ist. Von den philosophischen Zeitschriften reitet jede den Gaul ihres Professors und ist daher neuen Ideen von vornherein unzugänglich, während die natur-||wissenschaftlichen Zeitschriften sich an der philosophischen Form der Abhandlung stoßen. Selbstverständlich bin ich gern bereit, Ihnen das ManuSkript zur Einsicht zu übersenden, falls Sie es wünschen sollten. Eine etwaige briefliche Mittheilung bitte ich unter der Adresse des
Herrn Fritz Ball
Berlin O
Frankfurter Alle 81
an mich gelangen zu lassen. Für die Namhaftmachung einer geeigneten periodischen Zeitschrift würde ich Ihnen besonders dankbar sein.
In hochachtungsvoller Verehrung
Ihr ergebenster
Carl August
26/12 1900