Besser, Käthe

Käthe Besser an Ernst Haeckel, Bonn, 10. September 1905

Sonntag 10.9.05. Bonn Rhein

Mein hochverehrter, lieber Herr Professor,

Lange habe ich mich nicht so gefreut als soeben über Ihre gute Gesundheitsnachricht. Baden-Baden mit seinem malerischen Reiz und seinen Buchenwäldern ist wunderhübsch, aber die herrlichen Quellen und Bäder sind doch schließlich das Beste daran. Arme und Hand scheinen doch wieder ganz hergestellt. Ihre letzten pessimistischen Zeilen für die ich Ihnen noch herzlich danke, klangen mir bisher noch immer traurig nach. Aber, hochverehrter Freund, Sie dürfen noch nicht ans Crematorium danken, müssen noch viele Jahre denen erhalten bleiben, die Sie lieben und verehren, und noch wohlverdiente Ruhe genießen. Auch dürfen Sie nicht von Niederlagen sprechen. Neider und Neider haben Sie natürlich. ||

Und – es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen! – Ich habe mal eine köstliche Unterhaltung über Sie verehrtester Freund, mit angehört! Es war im Mai in Neuenahr im Walburgisstift wo ich wohnte, und zwei Pastöre zu Tischnachbarn hatte. Der Eine – (Hannovraner) mehr als orthod-ochs“ sagte: „Der Häckelsche Monismus muß zum krassesten Egoismus“ führen. Der Andre: „Häckel ist gewiß ein sehr himmlischer Mensch“. –

Da war’s aber alle mit meiner weiblichen Sanftmut und ich ging los. Und ich glaube meine beiden juristischen Großväter freuten sich im Grabe über ihre beredte Enkelin. Habe || die Mucker mit ihrem Läster-Mund verstummen gemacht. Fragte ob das Christenliebe wäre, Jemand anzugreifen und zu verläumden, den Sie weder persönlich kennten, noch geistig begriffen etc. etc. – Den andern Tag ließ ich mir einen andern Platz geben und schmeckte das Futter viel besser. – –

Denken Sie nur, mein lieber Alter erkrankte schon in Adelboden. Edinger hatte ihm zu seinem diamantenen Jubiläum geschrieben und darin die dringende Bitte angeknüpft, er solle nicht so hoch gehen, die Schweizer Ärzte (jetzt nicht mehr solche peasants wie früher) warnten dringend nach dem 70. Lebensjahr, nicht mehr als eine || mittlere Höhe aufzusuchen. Das Herz würde zu schwer durch den schnellen Aufstieg durch die Bahnen geschädigt. Wir gingen aber trotzdem von Adelboden, uns genügend trainirt glaubend, nach Rigi-Scheidegg, wo ich das Panorama märchenhaft fand, mich nicht satt schauen konnte. Nur sehr starken Wind mußte man mit in Kauf nehmen, und im Juli so kalte Abende, daß man sich über das geheizte Vestibül freute. Aber unbeschreiblich reine, erquickende Luft! – Ich erholte mich unheimlich gut und gewann wieder Selbstvertrauen, sogar mein alter Humor zeigte sich noch manchmal wieder. Aber || mein Mann bekam Schüttelfröste, Fieber-Anfälle, so eilten wir nach Hause. Seine Kräfte haben abgenommen, das ist wahr, aber das Leiden selbst ist gebessert und ich denke er muß noch nicht fort ins „Jenseits“. Wenn man so ein Menschen-Alter zusammen gewandert ist durch Leid und Freud, und Frau Sorge (durch seinen Idealismus veranlaßt) recht oft und ernst ins Antlitz geschaut hat – kann man sich nicht vorstellen, daß man allein weiter wandern soll und doch muß ich angesichts der Zahl 85 verständig sein und mir sagen, daß jeder Tag ein Geschenk ist. Er selbst || hängt fabelhaft am Leben, und sein Geist ist noch bewundernswert rege, noch neulich schrieb er eine geharnischte Sonette auf den Katholikentag in Strassburg. Könnten Sie, hochverehrter lieber Herr Professor, nicht die letzte September-Woche im Siebengebirge, am Rhein verleben? Abgesehen von diesem – von verzeihlich krassesten Egoismus diktirtem Wunsche, würde es für Ihr Herz, so groß und stark es ist, vielleicht auch besser sein, nicht zu hoch zu gehen, nach Edinger. Wir wohnen dann zusammen auf dem Margarethenhof und wandern durch das hübsche Siebengebirge. Es wäre || herrlich, wenn Sie kämen!

Wie traurig ist’s doch, daß Sie so viel Leid und Krankheita im engsten Familienkreis haben. Aber, verehrtester lieber Herr Professor, in welchem Hause, ist kein Leid? Auch unsre jüngste Tochter leidet an manish depression (über die Kräplin viel geschrieben hat). Es ist eine cirkuläre Form, allerdings ist die Prognose ziemlich günstig. Immerhin leidet sie von 12 Monaten 3 Monate durch die Hemmungen. –

Schön und lebenswert ist eigentlich nur die Jugend, und b die kann durch häusliche Verhältnisse auch sehr getrübt werden. Nach meiner || Ansicht sind die Menschenkinder zu beneiden, die eine Portion Leichtsinn mit auf den Lebensweg bekommen haben, aber Niemand kann über seinen Schatten springen. Ich versuche es aber mindestens wenn da so ein Postkärtchen käme, worin Sie uns Ihre Ankunft anmeldeten. Himmel wär das a Freid! –

Ich habe schon unbescheiden lange geplaudert. Hoffe, daß der Badewärter Sie 10 Minuten warten läßt, für solche Kunst-Pause geht diese Lektüre eben an. –

Also – hoffentlich auf Wiedersehen und tausend warme Grüße. In innigster Verehrung

Ihre

treu ergebene

Käte Besser

Soeben sagt mein Mann, er habe Ihnen Godesberg vorgeschlagen. Nein, dannc doch lieber zu uns nach Bonn! Diesmal mache ich’s Ihnen schon behaglich! –d

a eingef.: und Krankheit; b gestr.: auch; c Text weiter am rechten Rand von S. 8: Soeben … dann; d Text weiter am oberen Rand von S. 8: doch … behaglich! –

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
10.09.1905
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 7571
ID
7571