Bergfeld, Ludwig

Ludwig Bergfeld an Ernst Haeckel, Heidelberg, 5. Dezember 1908

Heidelberg, d. 5. Dez. 1908. Anlage 30.

(Ab 15. Dez. bis 1. Janr.: Bremen, Bentheimstr. 18.)

Ew. Excellenz!

Ich hoffe Sie zu erfreuen mit der Mitteilung, daß mir Exc. Chwolson bereits viermal geschrieben hat, und daß ich trotz Ihrer gegenteiligen Besorgnis Hoffnung habe, meine Position ihm gegenüber vollständig zu halten!

Da mein Wunsch, Ihnen meine Aufwartung machen und die Briefe zeigen zu dürfen, seither nicht so glücklich war, berücksichtigt werden zu können, füge ich hinzu, daß ich mir ausdrücklich ausbedungen habe, daß von den beidseitigen Äußerungen zur Sache jeder beliebige Gebrauch gemacht werden darf. Ich hätte Lust, den Restbestand meiner „Chinesischen Mauer“ zurückzuziehen und mit Be-||nutzung der Briefe eine zweite, doppelt gepfefferte Auflage loszulassen, die sich nicht mehr mißverstehen und totschweigen ließe! –

Der Kernpunkt der Sache ist eigentlich nur eine Trivialität, denn es liegt doch auf der Hand, daß ein erhitztes, comprimiertes Gas, das sich bei der Expansionsarbeit etwa auf Zimmertemperatur abkühlt, seine Wärme in Arbeit verwandelt, ohne eine Spur des von Chwolson geforderten gleichzeitigen Verlustes einer weiteren äquivalenten Wärmemenge. Solcher Verlust ist eigentlich nur eine contradictio in adjecto, denn das damit gegebene Temperaturgefälle läßt sich doch mechanisch ausnutzen! Zweitens: die Expansionskälte der Gase ist offenbar ein Mittel, um das Resultat entropisch positiver Prozesse rückgängig zu machen und die angeblich verlorene Wärme tatsächlich auszunutzen! Drittens: Die außerordentlich große latente Wärme des Dampfes, die in den Kühler von Dampfmaschinen geht, hat mit der Arbeit der Maschine || nichts zu tun, denn man kann ja statt der Verbrennung andere chemische Prozesse benutzen, die gasförmige, comprimierte Produkte geben und nur eine kleine positive Wärmetönung haben! – Chwolson’s Verteidigung bezüglich des Schwefels ist so kläglich, daß ich sie aus Mitleid nur zum Teil benutzen möchte: sein Gegenargument ist die Existenz von Polysulfiden, das Vorkommen des Schwefels im Eiweiss, und – daß er älter ist als ich! –

Ich weiß, ich war kein Berufener, als ich in Ihrer Sache die Feder ergriff, und folgte nur einem Impuls von Dankbarkeit und anderen Empfindungen, weil die „Zwei Fragen“ eigentlich auch mich angingen. Ich fühlte mich erst unlängst gedrängt, einem Herrn, der Ihnen in einer öffentlichen Versammlung Dogmatismus vorwarf, zu erklären, Ihre angeblichen „Dogmen“ seien nur Folgerungen, die jeder nachprüfen könne, der ehrlich genug sei und sich die Mühe nähme, sie im Zusammenhang mit all den Arbeiten zu betrachten, aus denen sie hervorgingen.

Ich weiß nicht, ob ich bei der Fülle der auf Ihren Schultern ruhenden Verpflichtungen || wagen darf, auf Ihr weiteres Interesse für den Fortgang meiner Angelegenheit mit Chwolson zu hoffen, doch frage ich vielleicht nicht zu viel, wenn ich um kurze bezügliche Rückäußerung bitte, und ob etwa Mitte Dezember, gelegentlich meiner Reise nach Bremen, Ihnen mein Besuch in Jena nicht störend sein würde, von dem ich mir auch besonders Anregung für meine weitere Tätigkeit verspreche. Mit der Hoffnung, daß ich damit das richtige getroffen habe, verbleibe ich

mit ganz vorzüglicher Hochachtung

E. E. dankbar ergebener

L. Bergfeld.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
05.12.1908
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7416
ID
7416