Breitenbach, Wilhelm

Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Bielefeld, 22. Januar 1919

Bielefeld, 22.1.1919

Sehr geehrter Herr Professor!

Ich erlaube mir anzufragen, ob Sie einmal wieder an Ihrem Vorschlag wegen der Neubearbeitung Ihre ‚Protistenreiches‘ gedacht haben. Wie ich Ihnen neulich schrieb, würde ich die Arbeit gern übernehmen und ich könnte, da ich gerade nichts anderes unter den Händen habe, bald mit ihr beginnen.

Es wird Sie interessieren zu erfahren, dass gute Aussicht besteht, dass meine Zeitschrift ‚Neue Weltanschauung’ demnächst wieder erscheint. Ein früherer Mitarbeiter derselben, Herr Ruckhaber, der philosophisch sehr interessiert ist und über grosse kaufmännische Erfahrungen verfügt (er war lange Jahre Grosskaufmann in Afrika, wenn ich mich nicht irre), will in Gemeinschaft mit einem vermögenden und freigeistig gerichteten Bekannten in Berlin eine Verlagsbuchhandlung errichten und in dieser möchte er als besondere Abteilung unsere Zeitschrift erscheinen lassen. Sie würde von den || anderen Geschäften ganz getrennt gehalten werden und äusserlich als gesondertes Verlagsunternehmen auftreten.

Wir sind augenblicklich dabei, die Einzelheiten eingehend zu besprechen und werden natürlich mit der Ausgabe solange warten, bis die inneren Verhältnisse in Deutschland einigermassen wieder zur Ruhe gekommen sind. Wir sind der Ueberzeugung, dass eine solche Zeitschrift gerade in der jetzigen Zeit ein Bedürfnis ist und dass sie bei der Gestaltung der Dinge verdienstlich mitwirken kann.

Die Vertreter der Kirchen aller Schattierungen entfalten eine rege Tätigkeit, um namentlich die Trennung der Kirche vom Staate zu hintertreiben und um den alten Einfluss der Kirche auf die Schule aufrecht zu erhalten. Wenn aber irgend eine Zeit und politische Lage geeignet ist, diese alten freigeistigen Forderungen durchzusetzen, dann ist es doch die augenblickliche, und deshalb müssen wir ein Organ haben, in dem diese Bestrebungen eine energische Vertretung finden. Wir müssen uns auch in den Dienst der sicher bevorstehenden Reformen auf dem Gebiete der Schule || stellen, von denen namentlich auch der naturwissenschaftliche Unterricht betroffen werden wird. Ueberhaupt wird die Zeitschrift vor einer Fülle neuer Aufgaben stehen und ich freue mich schon auf die zu leistende Arbeit.

Wenn die Verhandlungen mit Herrn Ruckhaber zu einem gewissen Abschluss gekommen sind, werde ich Ihnen weitere Mitteilungen machen.

Nun werden Sie also eine Nationalversammlung nach Weimar bekommen und deren Arbeiten aus nächster Nähe beobachten können. Hoffen wir, dass etwas vom Geiste Goethes und Schillers über der Versammlung schweben möge und dass deren Verhandlungen auch zur Förderung deutscher Geisteskultur beitragen.

Mit herzlichen Grüssen immer

Ihr treu ergebener

W. Breitenbach

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
22.01.1919
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6196
ID
6196