Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Brackwede, 14. Februar 1913
NEUE WELTANSCHAUUNG
MONATSSCHRIFT FÜR KULTURFORTSCHRITT …
AUF NATURWISSENSCHAFTLICHER GRUNDLAGE
REDAKTION: DR. W. BREITENBACH, BRACKWEDE I. W.
BRACKWEDE, 14.2.13
Sehr geehrter Herr Professor!
Zu Ihrem 79. Geburtstage spreche ich Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche aus. Ich hoffe, daß es Ihnen vergönnt sein möge, noch eine ganze Reihe von Jahren die weitere Entwicklung des Monismus und der von ihr angeregten Kulturbewegung beobachten und nach Kräften fördern zu können. Leider ist die Entwicklung nicht so schnell wie man das wünschen muß und vielfach sind die Wege, die sie nimmt, nicht diejenigen, || die wir bei der Gründung des deutschen Monistenbundes erhofft haben. Die Hemmungen, die uns entgegentreten, sind zu viele, alte Vorurteile und eingewurzelte Vorstellungen sind aus den Massen nicht so leicht zu vertreiben, die Macht der bestehenden Autoritäten ist zu groß. Viele Jahrzehnte lang, wenn nicht Jahrhunderte hindurch, muß eine energische und gezielte Aufklärungsarbeit geleistet werden, die bis in alle Schriften des Volkes vordringt und die den Gegensatz zwischen der alten und der neuen Weltanschauung immer schärfer zum Ausdruck bringt. Das aber bedeutet Kampf, Kampf gegen alle Feinde der monistischen Weltanschauung, || an ihrer Spitze die Jesuiten und deren Gefolgschaft. Ich weiß nicht, ob Sie selbst der Petition des Monistenbundes auf Aufhebung des Jesuitengesetzes zustimmen, von der ich soeben verwundert lese. Ich selbst, der ich lange genug in katholischer Umgebung gelebt habe und der auch weiß, daß gebildete katholische Geistliche nichts von den Jesuiten wissen wollen, kann diese Petition nicht billigen.
Ihre Lehren können die Jesuiten heute durch Vorträge und Schriften überall verbreiten, im übrigen muß aber ihre Brunnenvergiftung durch persönliche Missionsarbeit nach Möglichkeit verhindert werden. Wenn die Petition allen Mitgliedern des Monistenbundes zur Unterschrift vorgelegt worden wäre, würden || sehr viele sich geweigert haben, sie zu unterschreiben. Man kann vielleicht aus rein politischen Gründen für die Aufhebung des Gesetzes sein, aber vom Standpunkte der Kultur aus, muß man sich mit Händen und Füßen gegen diese Herrschaften wehren. Und nun tritt der Monistenbund für die Jesuiten ein! Das mache ich nicht mit; und Sie hoffentlich auch nicht.
Mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit und mit herzlichen Grüßen in alter Treue
Ihr ergebenster Schüler
Dr. W. Breitenbach