Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Brackwede, 3. April 1909
NEUE WELTANSCHAUUNG
MONATSSCHRIFT FÜR KULTURFORTSCHRITT…
AUF NATURWISSENSCHAFTLICHER GRUNDLAGE
REDAKTION: DR. W. BREITENBACH, BRACKWEDE I. W.
GESCHÄFTSSTELLE: STUTTGART
BRACKWEDE, 3.4.09
Sehr geehrter Herr Professor!
Bekanntlich wird in der Literatur (auch von Ihnen) immer behauptet, Cuvier habe bei seiner Katastrophen-Theorie, um das Auftreten neuer Tierformen in den aufeinanderfolgenden Erdperioden zu erklären, eine jedesmalige Neuschöpfung der Tierwelt angenommen. In einen soeben erschienenen Buche (englische Übersetzung) von Charles Depéret: „The Transformatismus of the animal world“ (The international Sences) finde ich || einen scharfen Widerspruch gegen diese Annahme. Der Verfasser zitiert mehrere Stellen aus Cuviers: „Discours sur les Revolutions du Globe“, die dies beweisen sollen und allerdings
tun. Die Frage ist jedenfalls werth genauer geprüft zu werden und ich erlaube mir Sie zu fragen, ob Sie mir nicht die französische und deutsche Ausgabe der genannten Abhandlung Cuviers leihen können, um diese Prüfung vornehmen zu können.
Herr Klocke aus Sofia schreibt mir, daß zur Veröffentlichung seiner Abhandlung die Erlaubnis des Auswärtigen Amtes || erforderlich sei, daß diese aber wohl nicht gegeben werden würde.
Also geistige Abhängigkeit auch in nichtamtlichen Dingen, genau wie bei den katholischen Geistlichen, die auch erst das Imprimatus! ihres Bischofs einholen müßen. Der Brief des Herrn Klocke ist somit ein nicht ganz wertloses Aktenstück zur Kulturgeschichte unserer aufgeklärten Zeit.
Mit freundlichen Grüßen bin ich in alter Treue
Ihr ergebenster Schüler
Dr. W. Breitenbach