Brohmer, Paul

Paul Brohmer an Ernst Haeckel, Kummersdorf, 21. Dezember 1917

Kummersdorf-Schießplatz, 21.12.17.

Hochverehrter Herr Geheimrat!

Mit Ihrem schönen Buche „Kristallseelen“ haben Sie mir eine herrliche Weihnachtsüberraschung bereitet, für die ich Ihnen herzlichst danke. Die Fülle neuer Gedanken, die Sie entwickeln, haben mich ungemein gefesselt. Und doch sind Ihre Darlegungen nur die logische Konsequenz der allem Geschehen zu Grunde liegenden Urgesetze. Es ist eine verdienstvolle Tat, die Beziehungen zwischen zwei scheinbar weit auseinander liegenden Wissenschaften aufzudecken und mit neuem Licht zu überstrahlen. Aber niemand als Sie hätte dieses Buch schrei-||ben können, denn nur Ihnen unter allen heutigen Naturforschern ist dieser Blick für das Allgemeine im Einzelnen eigen, nur Sie verfügen über ein so umfassendes Wissen und solch reiche Erfahrung. Staunen muß ich immer wieder über die jugendliche Elastizität Ihres Geistes. Möge Ihnen diese Frische auch im neuen Jahre bewahrt bleiben, möge Ihnen auch körperliche Gesundheit beschieden sein – das ist mein Neujahrswunsch für Sie, meinen innig verehrten Lehrer. Ich selbst wünsche für mich und das Vaterland einen baldigen deutschen Frieden, in dem sich auch die Wissenschaft wieder ruhig entwickeln kann. Persönlich kann ich nicht klagen, denn mein militärischer Dienst läßt mir immer noch Zeit mich mit wissenschaftlichen Fragen zu beschäftigen und weiter an der Herausgabe von Lehr-||Büchern und Leitfäden für den biologischen Unterricht zu arbeiten. Kürzlich bin ich von einer interessanten Dienstreise nach Riga und Dünamünde zurückgekehrt. Wir haben dort eroberte Geschütze geprüft; ich habe ja hier die Aufgabe, die Fluggeschwindigkeit der Geschosse zu messen und zu berechnen, und das habe ich dort auch getan. Ich hatte die Absicht, in Riga den Baron von Rautenfeld, der Ihnen die Embryonen von Chlamydoselachus [übereignete], die das Material zu meiner Dissertation bildeten, aufzusuchen, fand ihn aber im Adreßbuch nicht. –

In amtlicher Beziehung habe ich einen Fortschritt zu verzeichnen. Am 1. Oktober bin ich zum Prorektor am Seminar in Elsterwerda ernannt worden. Vorläufig steht diese Stelle für mich nur auf dem Papier, aber das Gehalt ist mir in dieser teuren Zeit sehr willkommen. Dort habe ich eine schöne Dienstwohnung in einem || alten Schloß, das von August dem Starken, dem Sie in Ihren „Welträtseln“ ja auch einige Zeilen gewidmet haben, erbaut und für seine Lustbarkeiten benutzt worden ist. Nun dient das Gebäude als Seminar. Ich freue mich schon auf die Zeit, in der ich dort arbeiten kann.

Ich hoffe, daß es Ihnen, verehrter Herr Geheimrat, gesundheitlich gut geht. Im Sommer hoffe ich einmal nach Jena kommen zu können, und ich werde mir dann erlauben, Sie aufzusuchen.

Mit verehrungsvollen Grüßen bin ich

Ihr immer dankbarer Schüler

P. Brohmer.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
21.12.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 53528
ID
53528