Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 9. August 1863

I.

Das dritte deutsche Turnfest

zu Leipzig, vom ersten bis 5. August 1863.

Mit dem herzlichen Wunsche, euch eine frische und natürliche Schilderung des dritten Deutschen Turnfestes in Leipzig zu geben, liebe Eltern, steht meine Fähigkeit, diesen Wunsch einigermaßen zu erfüllen, in größtem Mißverhältniß. Denn wenn es schon einer Gesellschaft von mehreren Männern, die an verschiedenen Orten verschiedene Theile dieses colossalen Nationalfestes einzeln beobachteten, unmöglich sein würde, daraus ein anschauliches Gesammtbild zusammenzustellen, so ist es vollends einem Einzelnen ganz unmöglich, auf eine solche Höhe allgemeiner Anschauung sich zu erheben. Auch war das Ganze so überaus großartig, dabei alles Einzelne so wundervoll schön, harmonisch, geordnet, daß jeder schriftliche Bericht nur ein schwaches Schattenbild von diesem unbeschreiblich großartigen, prächtigen und entzückenden Festkörper geben könnte. Ich muß mich daher darauf beschränken, auch nur ganz im Allgemeinen den Eindruck, den es auf mich gemacht, zu schildern, und auch dann kurz unsere eigenen Erlebnisse dabei mitzutheilen.

Wenn sich das dritte allgemeine deutsche Turnfest überhaupt mit irgend Etwas vergleichen läßt, so sind es nur die olympischen Spiele der alten Griechen, die jedoch in mancher Beziehung entschieden noch hinter unserem deutschen Nationalfeste zurückstehen, während sie andererseits freilich auch mancherlei Vorzüge vor demselben besaßen. Das nationale Element tritt in unseren deutschen Turnspielen noch viel mächtiger in den Vordergrund, und ganz besonders jetzt, wo die dunkle Folie des Verfassungsbruchs und Meineides in Preußen das feste Zusammenhalten des deutschen Volkes im gemeinsamen Rechtsanspruch in besonders helles Licht treten ließ. Je stärker man in Preußen mit allen Mitteln der rohen Gewalt Recht und Freiheit zu unterdrücken sucht, desto mächtiger erhob sich in Leipzig das geknechtete und getretene Volk, um durch seine ganze Haltung das baldige Einbrechen eines schönen Freiheitsmorgens zu prophezeien!

So begeistert für Wahrheit, Recht und Freiheit, so einmüthig in allem nationalen Streben verbunden und aller Sondergelüste vergessend, so kräftig und siegesmuthig, so edel, groß und schön, hat sich die gesamte Jugendblüte des deutschen Volkes noch nie freiwillig zusammen gefunden, und aus diesem Riesenfeste deutscher Einheit und Freiheit werden sicher die reichsten Saaten für die nächste Zukunft sprießen. Waren die Erwartungen Aller hochgespannt, so wurden Alle doch noch bei weitem übertroffen; doch nun hört kurz den Gang unserer eigenen Erlebnisse und Theilnahme am Feste! ||

Sonnabend den ersten August, am Vortage des III. Deutschen Turnfestes, verließ ich Mittags 12 Uhr mit meiner Anna Jena, nachdem ich am Morgen vorher, Freitag 31 Juli sämmtliche 4 Vorlesungen glücklich geschlossen, und am Nachmittag noch nicht weniger als 10 Abschiedsbesuche gemacht hatte. Unser Reisegefährte bis Apolda war der liebe prächtige Hermann Allmers, der mich am 20st Juli in Jena überrascht und noch 10 herrliche Tage, reich an den schönsten italienischen Wanderer-Erinnerungen, in meinem kleinen Paradiese verlebt hatte. Wir 3 zusammen saßen sehr nett im Coupé eines Omnibus, der noch 6 andere Festtheilnehmer nach Apolda führte. Dieser Omnibus sowohl, als auch 3 Seitenwagen, auf denen die anderen 50 Festgenossen aus Jena nach Apolda fuhren, waren aufs Netteste mit Girlanden, Laubreisern und Fahnen verziert, voran auf dem ersten Wagen die große prächtige Fahne des bürgerl. Turnvereins. So fuhren wir, festlich geschmückt, unter Musik und Gesang und lautem Jubel auch der zuschauenden Jenenser Bevölkerung, am Samstag um 12 Uhr vom Markte in Jena ab. Um 2 Uhr waren wir in Apolda, wo um 3 Uhr der große Extrazug der Thüringer Turner eintraf, der allmählich bis Leipzig bis auf 42 Wagen, ungefähr 3000 Mann enthaltend, anwuchs. Das Wetter war köstlich, kühl und windig, dabei der wolkenfreie Himmel köstlich blau, nachdem noch die Tage vorher die schlimmsten Regengüsse (in Leipzig bis zum Freitag Abend) niedergegangen waren. So blieb das Wetter unübertrefflich schön die ganze Festzeit über, vom 1. August früh bis zum 5. Mittags, wo ein heftiges Gewitter die erquickendste Kühle für die Heimreise brachte. Einen Vorgeschmack der herrlichsten Festfreude erhielten wir schon am Abend unserer Ankunft in Leipzig (um 6 Uhr), wo wir einen wahrhaft begeisternden Einzug in die aufs Festlichste geschmückte Stadt hielten. Allmers hatte sich leider schon in Apolda von uns trennen müssen, um direct nach Haus zu reisen. Anna wurde in Leipzig von unserer freundlichen Wirthin, Frau Engelmann, nebst Sohn, auf dem Bahnhof empfangen und in unser Quartier geleitet. Ich selbst schloß mich den anderen 62 Jenenser Turnern an, die einen Theil des großen Thüringer Festzuges bildeten. So zogen wir 3000 Thüringer und Mittelrheinländer in geordnetem Marsche mit Musik und Fahnen durch die aufs herrlichste geschmückten Straßen unter dem Jubel der Leipziger Bevölkerung auf den Marktplatz, der den Glanz- und Mittelpunkt des Stadt-Schmucks bildete. Unmöglich ist es, von diesem märchenhaft bunten Gewimmel all der 1000 Fahnen und Standarten, Guirlanden und Kränze, Sinnsprüche und Gedichte, die allenthalben bis in die dunkelsten Gassen hinein jedes einzelne Haus schmückten, nur einigermaßen annähernd eine Vorstellung zu geben. Selbst viele härterer Männer Augen mußten bei diesem allgemeinen Festjubel Thränen der Rührung vergießen. Ein wahrer Freudentaumel erfaßte alle Herzen! ||

II.

Sonntag, den zweiten August,

am ersten feierlichen Festtage, wurden wir schon früh um 5 Uhr durch die Festreveille von 300 Trommeln geweckt. Das Frühstück im Hause von Buchhändler Engelmann war äußerst munter, ebenso wie wir schon Abend vorher in seiner äußerst liebenswürdigen und freundlichen Familie uns vollständig eingelebt hatten. Die gemeinsame Tafel war immer sehr gastlich und umfaßte außer der sehr gescheuten, netten und liebenswürdigen Frau Engelmann und ihren verdienten Gemahl noch folgende Personen: 3 Söhne, der älteste, Rudolph, Astronom, der zweite, Wilhelm, mein sehr talentvoller Schüler, der dritte, Paul, angehender Buchhändler – ferner den zukünftigen Schwiegersohn, einen Freund v. Bezold, nebst seiner sehr schönen Braut Louise (mir etwas zu nervenschwach) – dann das Professor-Turner-Paar, ich und meine Anna – endlich noch als Gäste mein Freund Anton Dohrn aus Stettin (Bezolds Assistent) und ein kleiner Turner aus Frankfurt a/O, Felix Erich. Unsere Aufnahme, Logis und Bewirthung, waren äußerst glänzend, üppig und dabei so gerne gegeben, daß wir es doppelt gern genossen. Die Wohnung (Centralstraße 11, unweit der Centralhalle des Marktes) war sehr elegant.

‒ Sonntag früh suchte ich mit Anna zunächst Virchow auf, der mich schon Abends vorher im Zuge begrüßt hatte. Er wohnte bei meinem Würzburger Freunde W. Braune auf dem neuen Markt. Leider reiste Virchow, der sich sehr freute uns zu sehen, schon am nächsten Morgen früh wieder ab, nachdem er den Beratungen des Turntags beigewohnt und auch in den engeren Ausschuß gewählt worden war. Dieser „Turntag“, welcher Sonntag von 11–6 Uhr Abend im Schützenhause tagte, war ein Congress von ca. 300 gewählten Abgeordneten sämmtlicher Turnkreise, der über allgemeine Turnangelegenheiten und Turnordnung Beschlüsse zu fassen hatte. Während dieser tagte, fand am Sonntag Mittag um 1 Uhr das I große allgemeine Festessen in der Turnhalle statt, dem colossalen Festpalaste, der in der Nähe des Bairischen Bahnhofs, ¼ Stunde südlich vom Petersthor, errichtet worden, ein Prachtbau von 650 Fuß Länge, 120' Breite u. 60' Höhe, mit zwei prächtigen colossalen Thürmen von 150 Fuß Höhe, alles aufs Schönste Rothgelb und Rothbraun bemalt (herrlicher Contrast mit dem dunkelblauen Himmel!). An diesem ersten Mittagessen in der Festhalle nahmen 6000 Personen Theil, zwischen denen sich später noch 2000 andere in der Halle bewegten. Ich und der alte Engelmann aßen mit und hörten die verschiedenen merkwürdigen Toaste an, die von der Tribüne herab ausgebracht wurden. Die übrigen Theilnehmer der Engelmannschen Tafelrunde hatten zu Haus gegessen und kamen erst nach Nachmittags um 5 Uhr heraus, um dem Monster-Concert der vereinigten Leipziger Männergesangschöre zuzuhören. Das Gesumme und Geschwirre der 8000 schwingenden Menschen in der Halle war jedoch so groß, daß wir in der Mitte der Halle keinen Laut von den Tönen vernahmen, die an einem Ende derselben die Tausende von kräftigen Männerkehlen in die Luft sandten. Ich traf jetzt durch Zufall eine Unmasse alter Bekannten aus den verschiedensten Theilen Deutschlands unter den Festgästen wieder und lernte auch viele neue liebe Menschen kennen. Den Sonntag Abend verbrachten wir äußerst munter und heiter an Engelmanns Tafelrunde. ||

Montag den dritten August

Der große Festzug sämmtlicher einheimischen (3–4000) und auswärtigen (20,000) Turner war das Hauptereigniß dieses herrlichen Festtages. Der Festzug, der nur wenige Tage vorher auf 15–18,000 Turner angeschlagen worden, 24,000 Mann gestiegen!! Am frühen Morgen schon ging ich vorher zu Dr. Braune, wo ich statt des abgereisten Virchow seine beiden Assistenten, Dr. v. Recklinghausen und den dicken Dr. W. Kühne (meinen Pariser Freund) traf. Als ich um 9 Uhr zu Engelmann zurückkehrte, wurde ich aufs freundlichste durch die ganz unvermuthete Anwesenheit meines Bruders Karl überrascht, der am Abend vorher angekommen war. Um 11 Uhr früh begann die Aufstellung des Festzuges, der über 500 größere und zahlreiche kleinere Fahnen und Standarten führte, und aus 15 großen Turnkreisen bestand, die zusammen 600 Riegen und 24,000 Turner umfaßten.

Wir Thüringer, auf dem Augustusplatz versammelt, gingen im ersten Drittel des Zuges, der 1½ Stunde lang war. Innerhalb jedes Turnkreises waren die Städte nach dem Alphabet geordnet und jede Stadt durch eine Standarte und meist mehrere Fahnen begleitet. Außerdem trug jeder Turner auf der Brust unter dem schwarzrothgoldenen Bande einen weiß seidenen Bandstreifen, auf dem mit großen schwarzen Buchstaben der Name seines Turngaues und darunter der seiner Stadt sehr deutlich zu lesen war. Der Jubel sowohl der Turner, als der Zuschauer beim Festzuge, war unermeßlich und unbeschreiblich! Kein Fenster, kein Haus ohne Zuschauer, die mit lautem Jubel und Hurrah u. Hoch alle einzelnen Abtheilungen bewillkommneten. Vielfach wurden wir mit Blumen und Kränzen beworfen. Viele mitleidige Herzen, namentlich Frauen, spendeten auch reichlich Bier und Wein den vorüberziehenden Durstigen; einmal wurde ich sogar mit Champagner bewirthet! Unser Jena erfreute sich immer besonders herzlichen Zurufs, wozu wohl besonders die stattliche Studentenschaar (u. A. 30 Burschenschafter der Germania) beigetragen haben mag. Erst um 3½ Uhr war der Festzug, der um 12 Uhr abmarschirt war, vollständig auf dem großen umhegten Festplatz, vor der Festhalle, angelangt, und nun begannen, nach einer sehr hübschen und passenden Festrede von Dr. Götz aus Leipzig, die allgemeinen Freiübungen, von etwa 10,000 Turnern gleichzeitig ausgeführt, das Großartigste und Erhabenste, was jemals in dieser Beziehung ausgeführt worden ist. Dr. Lion machte jede einzelne Bewegung musterhaft auf der hohen Tribüne vor, und auf den Wink seiner Fahne folgten lautlos 20000 Arme und Beine zugleich seinen Bewegungen. Dann folgte das allgemeine Schauturnen aller 600 Riegen, wundervoll großartig, gleichzeitig ausgeführt an 200 Recken, 200 Barren, 80 Pferden, 40 Böcken und 40 Springgeräthen. Der Effect über alle Beschreibung erhaben. Nachher noch treffliches Kürturnen Einzelner! Abends 9 Uhr ein sehr interessantes Nachtmanöver der Leipziger Feuerwehr, wobei Einer über 100' hoch herabsprang. Abends war ich mit Karl und mehreren Freunden sehr vergnügt in der Festhalle zusammen. ||

III.

Dienstag den vierten August.

Der dritte Festtag war in turnerischer Beziehung der bei weitem wichtigste und interessanteste. Es fand nämlich am Vormittag desselben das Schauturnen der vereinigten Leipziger Turner statt, die sich vor allen anderen deutschen Turnern wohl am meisten durch vollendete Sicherheit und Eleganz der Bewegungen auszeichneten. Ich sah diesen wundervollen Übungen, die den ganzen Vormittag von 10–1 Uhr dauerten, mit Bruder Karl von der Tribüne aus zu. Zuerst turnten sämmtliche Leipziger Riegen, von 10–12 Uhr, in musterhafter Ordnung, Sauberkeit und Eleganz alle Übungen ausführend, mit zweimaligem Wechsel der Geräthe (Barren, Reck, Springgeräthe). Das Schönste, ja Prachtvollste und Merkwürdigste, war aber das Schauturnen der Leipziger Vorturner, von 12–1 Uhr, welche zuerst am Pferde, dann am Reck und zuletzt am Tische, eine Reihe der ausgezeichneten und schwierigsten Übungen in der vorzüglichsten Weise ausführten, welche über alles Lob erhaben war und die allgemeinste Theilnahme und Beifallsbezeugung der vielen 1000 Zuschauer erntete. Niemals noch waren wohl so viele ausgezeichnete Übungen in so kurzer Zeit zusammengedrängt von einer so großen Volksmasse bewundert worden; ein großes Beispiel der Nacheiferung und des Strebens für die zuschauende Jugend! Ich zweifle, daß bei den Olympischen Spielen mehr Schönheit und Eleganz der Bewegungen entwickelt wurde. Dienstag Mittag um 1 Uhr nahm die ganze Engelmannsche Tafelrunde an dem II großen Festessen in der Festhalle Theil, welches nicht so überfüllt, wie das erste, darum aber auch bedeutend angenehmer war. Auch waren die Toaste viel besser und zum Theil ganz ausgezeichnet. Wir saßen am 54., Karl am 66. mein Freund Prof. Schleicher am 121. Tisch. Viele nette Leute lernte ich dabei kennen, u. A. Schleichers alten Turnlehrer, Manipeter, aus Prag, seinen Freund Dr. Spielmann, Irrenarzt aus Tetschen, ferner Wassmannsdorf aus Heidelberg etc. etc. Von alten Freunden traf ich die 4 Gebrüder Merkel wieder, ferner Dr. Wendt aus Freienwalde, Dr. Hirzel, Dr. Hilgendorf aus Wittstock, Grolmann aus Berlin und viele alte Universitätsfreunde. Auch vom I Coburger Turnfest wurden viele Erinnerungen wieder aufgefrischt. Und so schlangen sich alte und neue Verbindungsfäden wohl zwischen allen deutschen Turnbrüdern aus den verschiedensten Gauen zu dauernder lieber Freundschaft. Dienstag Nachmittag folgte nun das eigentliche Cür- und Wett-Turnen, zu welchem die Concurrenz ganz freigegeben war. Ich schaute mit Herzklopfen und mit einigem geheimen Herzenskummer zu, denn im Hochsprung und Weitsprung hätte ich mir wohl auch einen Preis erringen können. Wenigstens habe ich in Jena, so gut, wie die in Leipzig gekrönten Sieger, meine 17'–17½' Rhein. gesprungen. – Den Abend wanderte ich mit Anna, Bruder Karl und Engelmanns in das Rosenthal, den Leipziger Prater und Thiergarten, dessen kühle schattige Waldpartieen mit den frischen grünen Wiesen nach dem Staub u. der Hitze des Tages überaus wohl thaten. ||

Mittwoch den fünften August.

Der letzte Tag des Leipziger Turnfestes war der Erinnerung an die 50jährige Jubelfeier der Schlacht bei Leipzig gewidmet, für welche Prof. Dr. v. Treitschke (jetzt nach Freiburg i. Br. berufen) um 11 Uhr auf dem Festplatz eine ganz vorzügliche Rede hielt. Da es sehr heiß war und man die Rede auch schon gedruckt konnte zu lesen bekommen, so wanderte ich gar nicht mit hinaus, sondern sah mir auf dem Augustus-Platz den Vorbeimarsch des Festzuges an, der wie am Vortage geordnet war, jedoch kaum ½ so lang, da die Zahl der Turner höchstens die Hälfte betrug. Die vielen bunten Fahnen und Standarten machten sich in der dichtgedrängten Folge sehr prächtig. Die Leipziger Männergesang-Vereine, welche vor und nach der Rede von Treitschke Gesänge ausführten, halfen die Turnerlücken etwas wieder auszufüllen. Nachdem wir den Vorbeimarsch angesehen, ging ich mit Karl in die neue, eben erst in Gebrauch genommene, große „Leipziger Allgemeine Turnhalle“, eine wahre Muster-Anstalt. Von da wanderten wir in das Comptoir von Engelmann, wo wir Anna und Frl. Engelmann trafen, und mit diesen zusammen die Städtische Gemälde-Gallerie (großentheils von Consul Schletter gestiftet) besuchten. In dieser entzückten uns vor allem die wundervollen Landschaften von Calame, namentlich der „Monte Rosa bei Sonnenaufgang“, eine der schönsten, wahrsten, herrlichsten Landschaften, die ich je gesehen. Auch der Napoleon von De la Roche, der Saulus von Kretschmer, die Grotte der Egeria von Schirmer gefielen mir sehr, ebenso der Eisbärenkampf. Mittag aßen wir bei Engelmanns. Während dem entlud sich ein heftiges Gewitter mit orkanartigem Sturm, wobei fast ein Thurm der Festhalle eingestürzt wäre. Nachmittag war wieder das schönste Wetter. Ich machte mit Anna und Karl, Besuche bei Wiecks (wo Karl wohnte) und Hirzels (wo auch Georg u. Ernst Reimer war), zuletzt bei Mettenius (Braunes Schwiegersohn). Abends bei Engelmanns (Bezold u. Dohrn waren schon Dienstag Abend abgereist). Am andern Morgen,

Donnerstag den sechsten August,

wanderte ich mit Anna nochmals durch die herrlich geschmückten Straßen, und über die schönsten Plätze von Leipzig, und nahm dann um 12 Uhr von der gastlichen Stadt und speziell von unseren lieben Gastfreunden Engelmanns Abschied, dankesvoll und von Freude und Jubel über die herrlichen Tage durchwogt. Mittags 1 Uhr fuhr der Zug vom Berliner Bahnhof ab (dem einzigen Gebäude Leipzigs, das keine schwarzrothgoldene dafür aber die elende schwarz-weiße Fahne hatte). Der Zug war ganz von jubelnden Turnern angefüllt und mit Kränzen und Blumen geschmückt, die wir noch auf dem Weg zum Bahnhof erhielten. Um 6 Uhr Abends kamen wir hier in Berlin an und fanden bei der lieben Tante Weiss die herzlichste, freundlichste Aufnahme, ganz wie zu Hause. Morgen, Montag, d. 10. August, fahren wir zu Petersens nach Ziegenort, und mit diesen am nächsten Mittwoch, d. 12. nach Heringsdorf. Herzlichste Grüße, euer treuer Ernst

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
09.08.1863
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 53124
ID
53124