Daelen, Eduard Adolf

Eduard Adolf Daelen an Ernst Haeckel, Düsseldorf, 22. Dezember 1912

EDU DAELEN

COLUMBUSSTR. 20

WERKSTATT

SITTARDSTR. 5

DÜSSELDORF, 22.12.18.

Hochverehrter Meister!

Als ein geringes Zeichen meiner innigsten Dankbarkeit erlaube ich mir, Ihnen in der beifolgenden jüngsten Schöpfung meiner schriftstellerischen Tätigkeit eine kleine Weihnachtsgabe auf den Tisch zu legen mit dem glühendsten Wunsche, daß Sie sich namentlich auch gesundheitlich noch recht lange des besten Wohlergehens erfreuen mögen!

Seit unserer letzten Aussprache sind wieder sehr schwere und düstere Gewitterstürme über unser heißgeliebtes armes Vaterland dahin gebraust. Nach der vierjährigen Herrschaftsdauer aller dämonischen Zerstörungsgewalten der Unterwelt, die ihr a infernalisches Amt mit einerb Vernichtungswut ausgeübt hat, wie sie in solch riesigem Übermaße die Weltgeschichte noch nie-||mals gesehen hat, kommt nun die Zeit des Wiederaufbaues, in der dem am schlimmsten getroffenen Deutschland die allerschwerste Aufgabe zuerteilt wird.

Aber es hat auch die ehrenvolle Bestimmung erhalten, in dieser mühseligen Arbeit an erster Stelle zu stehen. Und ihm zur Seite als berufener treuer Kamerad steht der deutsche Kunstsinn, der nun die ihm zukommende Aufgabe lösen muß, der beste Führer und Berater zu sein und als solcher für die überlegene Tüchtigkeit seines Volkes den überzeugendsten Beweis zu erbringen.

In Freiheit und Frieden, in unverwirrbarer Einigkeit müssen alle Künste und alle Wissenschaften sich harmonisch verbinden, um das große Werk der Zukunft zum Heile der Menschheit zielbewußt zu vollenden. ||

Wer im Besitz einer Goetheschen Lebenskunst das Wörtchen „Zufall” aus seinem Glaubensbekenntniß gestrichen hat, der wird den tiefsten Born aller Gotteslehre in voller Klarheit und Wahrheit ergründen. Das Wort „fürchten” wird nicht in seinem Sittlichkeitsprogramm zu finden sein und erst recht nicht das Gefühl der Gottesfurcht, trotzdem es nach Bismarck, (bevor er in Jena war,) in dem Katechismus eines jeden echten Deutschen an erster Stelle paradiren sollte; er folgt vielmehr den Spuren des ehrwürdigen Altmeisters Ernst Haeckel, der in seinem „Welträtsel” die verheißungsreiche neue Offenbarung c der Entwicklungslehre, das Goldene Buch der Kunst und Wissenschaft allen Sehenden zur schönsten Glückseligkeit im || Diesseits und Jenseits geschenkt hat.

Dieses Bewußtsein sei die lichteste Sonnenwendfreude des diesjährigen Weihnachtsfestes!

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

treu ergebener

Edu Daelen.

a gestr.: Werk mit einer; b eingef.: Amt mit einer; c gestr.: , das Goldene

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
22.12.1918
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 51029
ID
51029