Wilhelm August Günther (Staatsanwalt) an Ernst Haeckel, Minden, 29. Juni 1872
Auf die gefällige Mittheilung vom 5. Dezember und 18. Maerz currentis betreffend den hiesigen Apothekergehülfen Hermann Hendess und auf Grund der im Anschluß an dieselben von hier aus veranlaßten Erhebungen habe ich beim hiesigen Kreisgerichte Anklage gegen den Hendess unter zwei Gesichtspunkten, nämlich mit den Anschuldigungen erhoben:
im Laufe des Winterhalbjahres von 1871 auf 1872 durch mehrere selbstständige Handlungen
a. in der Absicht, sich rechtswidrigen Vermögensvortheil zu verschaffen, das Vermögen der Apotheker Desaga zu Straßburg und Claus zu Berlin dadurch beschädigt zu haben, daß er brieflich durch Vorspiegelung falscher und durch Unterdrückung wahrer Thatsachen Irrthum in ihnen erregte;
b. es auch unternommen zu haben, den Apotheker Claus zu Berlin zur wissentlichen Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt zu verleiten.
Durch rechtskräftiges Urtheil des Königlichen Kreisgerichts hierselbst vom 31. May currentis ist nun auch Hendess
ad a. aus §. 263 Strafgesetzbuchs unter Berücksichtigung seiner dürftigen Lage zu einer Geldstrafe von 25 Thalern, für den Nichtbeitreibungsfall zu einer Gefängnißstrafe von 14 Tagen verurteilt; dagegen
ad b. von der Beschuldigung aus §. 159 Strafgesetzbuchs freigesprochen worden, weil der die Verleitung enthaltende Brief nicht mehr herbei zu schaffen gewesen und die Reproduction seines Inhalts durch Angaben des Claus allein, beim Widerspruch des Hendess, nicht für ausreichend erachtet ist.
Hiermit wird die diesseitige Befassung mit der Sache für erledigt angesehen.
Minden, am 29. Juni 1872.
Der Königliche Staatsanwalt
Günther
An
Herrn Professor Dr. Haeckel
zeitigen Dekan der philosophischen
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