Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an die philosophische Fakultät, Jena, 28. Juli 1874

Senior venerande!

Assessores gravissimi!

Herr Dr. phil. Gottlieb von Koch bewirbt sich bei unserer Facultät um die Venia docendi für Zoologie. Derselbe ist im Jahre 1849 zu Hirschberg an der Saale (im Fürstenthum Reuss) geboren, hat 3 Semester zuerst in Heidelberg, dann 3 Semester hier in Jena studirt und ist am 26. Juli 1872 von unserer Facultät nach dem er das Doctor-Examen „cum laude“ bestanden, promovirt worden. In den letzten zwei Jahren hat Herr Dr. von Koch bei mir als Assistent (im zoologischen Practicum und am zoologischen Museum) fungirt. Seinem Habilitations-Gesuche fügt derselbe bei:

1) seine Studien-Zeugnisse

2) sein Doctor-Diplom

3) seinen Lebensabriß

4) eine Sustentations-Versicherung seines Vaters

5) eine Habilitations-Schrift über die Orgel-Coralle

6) die Autorschafts-Versicherung für letztere

7) eine Anzahl von ihm publicirter Druckschriften. ||

Herr Dr. von Koch ist mir während seines 3½ jährigen hiesigen Aufenthaltes und besonders während seiner zweijährigen Thätigkeit als Assistent am zoologischen Museum so genau bekannt geworden, daß ich mich sowohl für seine wissenschaftliche Bildung und Befähigung wie für seinen Charakter verbürgen und der philosophischen Facultät ihn für Zulassung zur Habilitation bestens empfehlen kann. Derselbe ist von Natur vielseitig begabt, mit ausgezeichnetem Beobachtungs-Talent, künstlerischer Auffassungs-Gabe, technischem Geschick, aber auch mit klarem Urtheil und kritischem Erkenntniß-Vermögen ausgestattet. Seine frühzeitig hervorgetretene Neigung und Befähigung zum Naturstudium hat sich zunächst durch eine Reihe ornithologischer Schriften kundgegeben, deren Publication er schon in seinem 20sten Lebensjahre begann. Von wissenschaftlichem Gehalte sind mehrere kleinere Aufsätze über Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Hydroid-Polypen, welche im siebenten Bande unserer || Jenaischen „Zeitschrift für Naturwissenschaft“ enthalten sind. Ein umfassendes Zeugniß für die richtige und auf das Wesentliche des großen Ganzen gerichtete Auffassung der wissenschaftlichen Zoologie hat Herr Dr. von Koch durch den jetzt erscheinenden „Grundriß der Zoologie“ geliefert, dessen erste, bereits publicirte Hälfte beiliegt. In knappster Form und gedrängtester Kürze bietet derselbe den Studirenden ein Compendium, in welchem das Wissenswürdigste übersichtlich geordnet und zusammengedrängt ist.

Die Habilitations-Schrift über „Die Anatomie der Orgelcoralle“ enthält die Resultate einer schwierigen und mühevollen Untersuchung, welche Herr Dr. von Koch in meinem Laboratorium mit großer Sorgfalt durchgeführt und welche zu hübschen neuen Entdeckungen auf dem wenig bebauten Gebiete der Corallenkunde geführt hat. Obgleich die Schrift an etwas unbehülflicher, steifer und eckiger Form leidet und mit einer, allen Arbeiten Herrn Koch’s eigenen, allzu gedrängten Compression des Stoffes abgefaßt ist, so erscheint sie doch als Habilitations-Schrift vollkommen genügend und durchaus druckwürdig. ||

Nicht verschweigen will ich schließlich, daß ein Bedenken gegen eine erfolgreiche akademische Lehrtätigkeit aus dem bedauerlichen Gesundheits-Zustande des Herrn Dr. von Koch entstanden sind, welche ich auch offen gegen ihn geäußert habe. Derselbe hat leider das Unglück, an Epilepsie zu leiten, und im Gefolge der von Zeit zu Zeit sich wiederholenden epileptischen Anfälle bleibt stets für einige Tage ein Schwäche-Zustand zurück, der ihm das ununterbrochene Arbeiten sehr erschwert und Sparsamkeit mit seiner Arbeitskraft zur Pflicht macht. Im Zusammenhang mit diesem centralen Nervenleiden steht eine ungewöhnliche Schwerfälligkeit der mündlichen Redeweise, welche ihm das Abhalten freier Vorträge sehr erschwert. Indessen glaube ich nicht, daß die Facultät auf diese Bedenken Gewicht legen darf, gegenüber der unzweifelhaft bedeutenden wissenschaftlichen Befähigung und Strebsamkeit des auch durch seinen ernsten und tüchtigen Charakter ausgezeichneten jungen Mannes. Ich beantrage demnach, daß die philosophische Facultät Herrn Dr. von Koch auf Grund der Habilitations-Schrift und seiner früheren Schriften zunächst zum Colloquium zulassen.

Hochachtungsvoll

Jena 28. Juli 1874

Haeckel, d. Z. Decan ||

Decane maxime Spectabilis,

Auf Grund des von Ew. Spectabilität erstatteten Gutachtens kann man der Universität nur zu der Habilitation eines so wohl empfohlenen jungen Gelehrten Glück wünschen. Demnach stimme ich zunächst für Zulassung zum Colloquium. | Stickel | Ebenso E. E. Schmid| A. Schmidt | A. Geuther | Moriz Schmidt | E. Strasburger | Hildebrand | Fortlage | R. Eucken | Delbrück

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
28.07.1874
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
UAJ
Signatur
UAJ, M 639, Bl. 161r-162v, 169r
ID
50326