Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an die philosophische Fakultät, Jena, 28. Februar 1872

Senior venerande!

Assessores gravissimi!

Veranlaßt durch den Vorwurf, welchen mir gestern Herr College Snell in der Promotions-Angelegenheit des Zahnarztes Eisenreich gemacht hat, muß ich Sie bitten, einen Beschluß darüber zu fassen, wie der Decan zukünftig bei Abweisung der Zahnärzte und Thierärzte zu verfahren hat. Ein Beschluß über den Modus dieser Abweisung existirt nicht. Indem ich Ihnen gestern das Promotions-Gesuch des Zahnarztes Eisenreich und früher die beiden Gesuche der Zahnärzte Ostermann und Museler vorlegte, und Sie um Signatur der Abweisung ersuchte, bin ich nach dem Usus verfahren, der aus den Acten früherer Decanate ersichtlich ist. Es haben sich nämlich diese drei Zahnärzte – was ich ausdrücklich zu bemerken bitte – die Bedingungen schicken lassen, ohne sich als solche zu nennen, und haben darauf, unter Berufung auf ihr wohl bestandenes Staats-Examen und unter formeller Erfüllung aller Bedingungen ihr Promotions-Gesuch nebst den Gebühren eingesandt. Ich habe völlig correct zu handeln geglaubt, indem a ich Ihnen diese formell vollständigen Gesuche zur formellen Abweisung vorgelegt habe. Ich muß daher den Vorwurf des Herrn Collegen Snell um so mehr als nicht zutreffend entschieden zurückweisen, als ich unmöglich den ersten Anfragen jener drei Herren, welche ohne Angabe ihres Berufs erfolgten, ansehen konnte, daß dieselben Zahnärzte seien. || Während meines Decanates sind in jeder Woche mehrere Anfragen nach den Bedingungen von Personen erfolgt, die dabei ihren Beruf und Stand nicht angegeben haben. Der Decan kann doch nicht dazu verpflichtet werden, wie Herr College Snell verlangt, „von Rechtswegen“ allen diesen Personen mitzutheilen, daß Zahnärzte hierselbst nicht promovirt werden. Dann wäre es doch wohl einfacher, diesen Passus in die Bedingungen mit aufzunehmen.

In allen Fällen (7 oder 8 während meines Decanats) in welchen sich Zahnärzte und Thierärzte nach den Bedingungen als solche erkundigten, habe ich ihnen diese nicht geschickt, sondern ihnen geschrieben, daß sie hier nicht promovirt werden könnten. Ebenso habe ich zwei Promotions-Gesuche von Zahnärzten, welche die Bedingungen nicht kannten, aber Dissertationen und Zeugnisse einschickten, der Facultät selbstverständlich nicht vorgelegt, sondern einfach remittirt.

Um endlich diese widerwärtigen und ärgerlichen Angelegenheiten definitiv zu beseitigen, ersuche ich Sie um die Ermächtigung, folgenden Beschluß in das Modell-Buch eintragen zu dürfen:

I. Zahnärzte und Tierärzte sind von der Promotion in absentia ohne Ausnahmeb ausgeschlossen.

II. Die Abweisung derselben, falls sie vollständige formelle Promotions-Gesuche nebst Gebühren eingesandt haben, erfolgt durch den Decan || entweder

A) ohne das Gesuch der Facultät vorzulegen, unter Zurücksenden der vollständigen Gebühren, oder

B) ohne das Gesuch der Facultät vorzulegen, unter Zurücksendung der Gebühren, nach den vorschriftsmäßigen Abzug von 6 rℓ 12 Sgr.,

oder endlich C) nachdem das Gesuch – gleich allen anderen, formell vollständigen Gesuchen – der Facultät vorgelegt worden ist, nach dem vorschriftsmäßigen Abzug von 6 rℓ 12 Sgr.

Ich ersuche Sie, verehrteste Herren Collegen, zwischen diesen drei möglichen Fällen – A, B, C – zu wählen und den durch Abstimmung per majora gefaßten Beschluß als endgültig anzuerkennen. Erst nachdem dieser Beschluß gefaßt und in das Modell-Buch eingetragen ist, wird der Decan wissen, wie er „von Rechtswegen“ zu verfahren hat, um Ihnen „jede vergebliche Mühe zu ersparen“.

Jena den 28. Februar 1872

Hochachtungsvoll

Haeckel

d. Z. Decan

Decane maxime spectabilis.

Mir ist in meiner Decanatspraxis der Fall niemals vorgekommen, daß ein Zahnarzt bei seiner Anfrage nach den Promotionsbedingungen in seiner Adresse außer dem Namen nicht auch seinen Stand angegeben hätte, und ich habe vorausgesetzt, daß es in allen Fällen so sei. In einem solchen Falle hat, meiner Meinung nach, der Decan dem Petenten zu eröffnen, daß Zahnärzte den philosophischen Doctortitel bei uns nicht erwerben können, und es kann nicht gebilligt werden, wenn dem Petenten die Promotionsbedingungen ohne diese Eröffnung zugeschickt werden. Aus dem voranstehenden Schreiben des Herrn Decans ersehe ich, daß derselbe gerade so verfahren ist, wie ich es wünsche, und die Sache ist hiermit abgethan, da ich meine Bemerkungen vernünftigerweise doch nur auf den Fall beziehen konnte, in welchem ein Zahnarzt sich als solcher zu erkennen gegeben hat. Verschweigt ein Zahnarzt bei seiner Anfrage seinen Stand, was wohl, wenn es geschieht, nicht ganz unabsichtlich geschieht, so hat derselbe es sich selbst zuzuschreiben, wenn er vergebliche Mühe und Unkosten hat. Schickt ein solcher die Requisiten der Promotion ein, so kann der Decan sie entweder brevi manu zurücksenden, oder er kann das Gesuch als ein selbstverständlich abzuweisendes der Facultät vorlegen. Auf diese Weise || ist der Herr Decan verfahren, und er war dazu völlig berechtigt. Mit der von mir gemachten Bemerkung jedoch steht das in diesem Fall zu beobachtende Verfahren in keinem Zusammenhang.

Was die Vorschläge des Herrn Decans, die noch weiter angefügt sind, betrifft, so scheint mir zwar eine besondere Beschlußfassung über diese nicht nöthig, da man dasjenige, was nicht durch den usus geregelt ist in dieser Beziehung, füglich dem Ermessen des Decans überlassen kann, jedoch muß ich mich dagegen ausdrücklich erklären, daß Beschlüsse, die zur Eintragung ins Modellbuch bestimmt sind, in einer Missive per majora gefaßt werden. Sollte die Facultät besondere Beschlüsse in dieser Angelegenheit für nöthig halten, so beantrage ich einen Conseß.

Uebrigens erlaube ich mir noch zuzufügen, daß ein Beschluß, Thierärzte ohne Ausnahme nicht zu promoviren, nicht besteht, sondern daß die Facultät früher auf einen Antrag des Herrn Geheimen Hofrath Schulze den Beschluß gefaßt hat, Thierärzte nur dann zu promoviren, wenn sie Lehrer der Thierarzneikunde sind an einer Thierarzneischule oder an einer landwirthschaftlichen Akademie. Snell. ||

Durch die vorstehende Erklärung des Hrn. Senior erachte ich die Sache für abgethan und halte Weiteres für unnöthig. | Stickel. | Nipperdey

Nachdem der Herr Senior auf einen Consess provocirt hat, ist weitere schriftliche Abstimmung unthunlich. | E. E. Schmid.

Was die Sache betrifft, so bin ich gegen einen formalen Beschluß, der eine Classe principiell von der Promotionsberechtigung ausschließt. Daher gegen N. I. in der Schlußproposition bei Spectabilis. Das Verfahren des Dekans in der fraglichen Angelegenheit möchte ich nicht binden. Daher für II A, wenn es der Dekan für gut findet. II B ist unmöglich, da der Abzug sich auf die Abweisung, diese auf den Facultätsbeschluß gründet. Daher in Betreff des Abzugs nur die Formel II C übrig bleibt, der ich beistimme. Nur muß die Abweisung als eventuelle bezeichnet werden, da sie erst durch den Beschluß definitiv ist. | K. Fischer

Soviel ich mich entsinne, müssen aus meinem Decanat ganz bestimmte aktenmäßige Beschlüsse vorliegen, dahin gehend, daß die philosophische Facultät um Mißbrauch des Titels zu verhüten, weder Ärzte überhaupt, noch insbesondere Thierärzte, Zahnärzte – was nicht zu übersehen – Wundärzte promovirt und daher derartige Bewerber grundsätzlich und mithin sofort durch den daran Decan abzuweisen sind; natürlich ohne Abzüge für den Decan, da es sich hier um formale Abweisung handelt. Sind die Beschlüsse nicht in das Modellbuch eingetragen, so geschah dies, weil der Grundsatz ein völlig selbstverständlicher war und schon als Übung bestand, nur daß eben hin u. wieder, wegen des Wechsels u. der Neuheit der Personen in unserer Facultät, factisch c erneute Fragen u. Verständigungen veranlaßt wurden. Die Erhebung von Decanatsge-||bühren in solchen Fällen ist, soviel ich weiß, geradezu gesetzwidrig u. verboten, da sie nur nach dem Gesetz erhoben werden sollen, wenn die Abweisung durch die Facultät aus wissenschaftlichen Gründen geschieht. Eintragungen über diesen Gegenstand in das Modellbuch könnten nur geschehen, wenn ausdrücklich darin gesagt wird, daß der hier besprochene Grundsatz längst bestanden u. nur um in Zukunft allen Zweifeln vorzubeugen förmlich fixirt werde. Die vorliegenden Decanatsanträge sind schon deshalb unzureichend, weil sie von Ärzten, die den medicinischen Doctortitel nicht besitzen, und von Wundärzten gar nicht reden. Sollten Erhebungen von Decanatsgebühren in Fällen der fraglichen Art statt gefunden haben, so müssen allerdings Beschlußfassungen getroffen werden, um den Decanen dies für die Zukunft auf das Bestimmteste zu untersagen, falls meine obige Voraussetzung in Betreff der Gesetzesbestimmungen, wie ich glaube, richtig ist. Auf alle Fälle können solche Beschlußfassungen nur in einem Consesse getroffen werden, auf den auch ich provocire, um so mehr als ich der nächste Decan bin u. nicht etwad meinen Vorgängern entgegengesetzt handeln möchte, ohne mich dabei in voller Übereinstimmung mit der Facultät zu wissen. Ich bitte den Hrn. Decan mein Votum denjenigen Collegen, die vor mir votirt, noch vor dem Consess zur Kenntnißnahme mitzutheilen. | Ad. Schmidt

Früher wurden Aerzte jeder Art von uns überhaupt nur dann promovirt, wenn sie bereits Doctoren der Medicin waren. Es geschah dieß um Mißbrauch mit dem Titel zu verhüten, indem Wundärzte, Zahnärzte || und Thierärzte, welche Doctoren der Philosophie waren, dem Publicum gegenüber für Doctoren der Medicin gelten konnten, denn bis zum Jahre 1869 mußten die deutschen Mediciner sich den Titel eines Doctors der Medicin erworben haben, ehe sie zum Staatsexamen zugelassen werden konnten. Durch das Gesetz vom 25. September 1869 ist dieß aber anders geworden. Dasselbe kennt nämlich (§ 3) die vorhergegangene Promotion zum Doctor medicinae unter den „Zulassungsbedingungen“ zum Staatsexamen nicht. Seit dieser Zeit gibt es in Deutschland also geprüfte Ärzte, welche nicht Doctoren der Medicin sind. Aus diesem Grunde ist unser früherer Usus jetzt gegenstandslos geworden und es kann mit den aerztlichen Bewerbern nicht anders als mit den Übrigen verfahren werden. Deßhalb bin ich für Ew. Spectabilität Vorschlag II. C. | A. Geuther

Trotz der Bemerkungen des Collegen Geuther scheint es mir auch jetzt nicht räthlich, daß wir Aerzte irgendwelcher Art promoviren und ich pflichte, da eine definitive Regelung dieser Angelegenheit nur in einem Consess erfolgen kann, dem bereits von mehreren früher votirenden Collegen gestellten Antrag auf Berufung eines solchen bei. | C. Bursian.

Für Consess. | Moriz Schmidt

a gestr.: diese; b gestr.: ein für allemal; eingef.: ohne Ausnahme; c gestr.: zu; d eingef.: etwa

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
28.02.1872
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
UAJ
Signatur
M 421, Bl. 150r-153v
ID
50156