Spengel, Wilhelm

Richard von Wettstein (Deutsche Zoologische Gesellschaft) an Ernst Haeckel, [o. O.], 16. Februar 1904

Hochverehrter Herr Professor!

Ein jugendlicher Jubilar, durch beispiellose Arbeit nicht gebeugt, vollenden Sie heute das siebzigste Jahr Ihres an Erfolgen überreichen Lebens.

An diesem Tage, der in allen Teilen der Erde von Ihren zahllosen Verehrern, Freunden und Schülern gefeiert wird, kann die Deutsche Zoologische Gesellschaft nicht fehlen, und so nahen sich Ihnen deren Vertreter mit den herzlichsten Glückwünschen und dem Ausdrucke des tiefsten Dankes für alles, was Sie in begeisterter Forschertätigkeit für die glänzende Neugestaltung unserer Wissenschaft während der letzten fünfzig Jahre geleistet haben.

Über den umfassenden, mit kunstgeübter Hand illustrierten Monographien über die Radiolarien, Kalkschwämme, Siphonophoren und Medusen, die alleine genügen würden, die Arbeit eines Menschenlebens als sehr erfolgreich erscheinen zu lassen, haben Sie in Ihrer klassischen „Generellen Morphologielichtvoll die allgemeinen Probleme der Tierkunde entwickelt und festgelegt und dem Systeme der Lebewesen einen geistigen Inhalt gegeben, indem Sie es in folgerichtigem Ausbau der Lehre Darwins || auf die Stammesgeschichte gründeten. Welche reiche Frucht Ihren genialen Konzeptionen entsproßte – es sei hier nur die auf die Lehre von der Homologie der Keimblätter aufgebaute Gasträatheorie erwähnt –, das ist auf jedem Blatte der Geschichte jener Periode unserer Wissenschaft verzeichnet, welche von Charles Darwin und von Ihnen ihren Stempel empfangen hat. –

Indem Sie endlich aus Ihrer wissenschaftlichen Arbeit eine großangelegte einheitliche Weltanschauung ableiteten, sind Sie ein Lehrer und durch mutiges Bekennen sowie unermüdliches Verbreiten Ihrer Überzeugung ein Vorbild geworden nicht blos dem deutschen Volke, sondern der ganzen freiheitlich denkenden Welt.

Möchte Ihnen Geistesfrische und Arbeitsfreudigkeit noch recht lange erhalten bleiben und der Lebensabend verschönt sein durch den Rückblick auf Ihre unvergänglichen Verdienste um Wissenschaft und Menschheit, sowie durch Ihre nie versiegende Freude an den Schönheiten und „Kunstformen“, welche Natur und Leben darbieten!

In Verehrung und Dankbarkeit

Der Vorstand der

Deutschen Zoologischen Gesellschaft.

J. W. Spengel.

C. Chun. L. Graff. Richard Hertwig.

E. Korschett.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.02.1904
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Rapallo
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 49700
ID
49700