Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bruno Wille, Jena, 4. Januar 1911

Jena 4.1.1911.

Hochverehrter Freund!

Meine Absicht, nächsten Sonnabend (7. Januar) dem Fest-Kommerse beizuwohnen, welcher zu Ehren des 50. Geburtstags unseres lieben Freundes Wilhelm Bölsche in der „Baerenhöhle“ zu Rahnsdorf stattfinden wird, kann ich zu meinem herzlichen Bedauern nicht ausführen. Ich habe mich auf der Rückreise von Berlin (– wo ich nur einen Tag, 28. Dezb v. J. bleiben konnte –) erkältet und muß noch mehrere Tage zu Hause bleiben. Außerdem bin ich auch durch eine neue Erkrankung meiner Frau, die seit vielen Jahren herzleidend ist, an das Haus gebunden. || Um nun meinem lieben Freund Bölsche an seinem Geburtstage eine persönliche Freude zu bereiten, habe ich in diesen Tagen ein scherzhaftes Diplom gemalt, in welchem er von der „Phyletischen Facultät“ der Universität Jena wegen seiner großen Verdienste um Wissenschaft und Kunst zum „Doctor Phylogeniae“ honoris causa“ ernannt wird. Die große Mappe mit dem Original-Diplom (der ich auch 4 Landschafts-Aquarelle von mir beigelegt habe) wird morgen (Donnerstag 5. früh) als Paket (Eingeschrieben) an Sie abgehen und Sie morgen Abend (oder spätestens a Freitag früh) erreichen. || Meine freundliche Bitte an Sie geht nun dahin, daß Sie bei der Feier in der Bärenhöhle Sonnabend die Mappe unserem Freunde Bölsche mit einer poetischen Ansprache überreichen (– was Sie so vortrefflich verstehen! –), vielleicht mit einem Talar und Barrett geschmückt, als Decan? Sie können darauf hinweisen, daß diese höchste Doktorwürde viel mehr als jede andere gilt, und bisher nur ein einziges Mal verliehen wurde, an Fürst Bismarck, als er am 31. Juli 1892 im „Baeren“ zu Jena durch unser akademisches Bankett gefeiert wurde. Auch könnte bemerkt werden, daß die künstlerische Ausstattung des Diploms, von mir allein gemalt, daher etwas mangelhaft in artistischer Hinsicht!) in ihrem Ideen-Gehalt durchaus original und „unvergleichlich“ ist! || Lieber hätte ich freilich unserem Freund die offizielle Urkunde als „Dr. philosophiae honoris causa“ im Auftrage unserer philosophischen Fakultät überreicht (– was schon lange mein Wunsch ist! –). Aber daran ist leider bei den hiesigen Verhältnissen (in der sehr gemischten Gesellschaft der 18 Facultäts-Assessoren!) nicht zu denken!

Mit herzlichsten Grüßen an Sie und Ihre liebe Frau, sowie mit besten Wünschen für ein recht vergnügtes Fest,

Ihr treuergebener

Ernst Haeckel.

a gestr.: S

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
04.01.1911
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
unbekannt
Signatur
A 47771
ID
47771