Fortlage, Carl

Carl Fortlage (Dekan) an die philosophische Fakultät der Universität Jena, Jena, 10. Dezember 1878

Senior venerande!

Assessores gravissimi!

Herr Carl Schierholz aus Arnstadt bewirbt sich um die Promotion in praesentia. Die vorgeschriebenen Bedingungen sind sämmtlich erfüllt. Die vorgelegte Abhandlung Zur Entwicklungsgeschichte der Teich- und Flußmuschel ersuche ich Herrn Collegen Prof. Dr. Haeckel gefälligst zu beurtheilen.

Hochachtungsvoll

Jena, den 10. Decemb. 1878

Fortlage

d. Z. Decan.

ad acta.

Fortl. ||

Decane maxime spectabilis!

Die Abhandlung des Herrn Schierholz enthält die Resultate einer einjährigen, fleißigen und mühsamen Untersuchung über die dunkle Entwicklungsgeschichte der Teich- und Flußmuschel. Durch Ausdauer, Fleiß und geschickte Untersuchungs-Methode ist es dem Verfasser gelungen, das darüber schwebende Dunkel größtentheils aufzuhellen. Die Resultate der Arbeit sind ohne Zweifel interessant und druckwürdig, so daß der Verfasser mit Rücksicht hierauf zum Examen zuzulassen a sein würde.

Anders steht es aber leider mit der Form der Arbeit. Die Darstellung ist überaus schwerfällig, die Anordnung des Stoffes und die logische Behandlung der Probleme sehr unklar, der Styl zum Theile schauderhaft (z. B. S. 24, 29). Man gewinnt dadurch ein sehr ungünstiges Urtheil über die allgemeine wissenschaftliche Durchbildung des Candidaten. Es finden sich Verstöße gegen Logik und Styl, wie sie meines || Erachtens in keiner Inaugural-Dissertation vorkommen dürften. Freilich ist diese klägliche Behandlung der Logik und die damit zusammenhängende verworrene Ausdrucksweise heutzutage leider nicht nur bei Studirenden, sondern auch bei Docenten der Naturwissenschaften sehr verbreitet. Ich bin überzeugt, daß angesehene Professoren der Zoologie die Arbeit des materiellen Inhalts wegen für vortrefflich und die schauerlichen Mängel der Darstellung für unerheblich halten würden.

Um Genaues über den mir persönlich unbekannten Verfasser zu erfahren, schrieb ich an Prof. v. Martens in Berlin, auf dessen Anregung derselbe die schwierige Arbeit übernommen hat. Aus der beiliegenden Antwort desselben geht hervor, daß der 27jährige Verfasser eigentlich Chemiker ist, kein Abiturienten Examen gemacht hat und trotz 5jährigen Studiums sehr erhebliche Lücken in seinem Wissen besitzt. Auch hat derselbe in Berlin das philosophische Doctor-Examen nicht bestanden, da seine Antworten in allen Fächern „durchaus ungenügend“ waren.

Trotzdem scheint es auch Prof. v. Martens – angesichts der tüchtigen und erfolgreichen Untersuchung – für nicht indicirt zu halten, den Verfasser wegen der formalen Mängel der Arbeit ohne Weiteres abzuweisen. ||

Unter diesen schwierigen Umständen weiß ich nach gewissenhafter Prüfung und Überlegung nicht, ob ich der Facultät rathen soll, den Candidaten zur Prüfung zuzulassen. Ich selbst erwarte davon keinen günstigen Ausfall. Wenn jedoch die Facultät – angesichts der lobenswerthen und dem Inhalte nach druckwürdigen Arbeit, trotz deren großer formaler Mängel – die Zulassung zur Prüfung beschließt, so ersuche ich Ew. Spectabilität, dem Candidaten bei Mittheilung derselben darauf aufmerksam zu machen, daß er sich nur dann Hoffnung auf Promotion machen darf, wenn er in allen Gebietstheilen des Hauptfaches, insbesondere auch in vergleichende Anatomie, wohl bewandert ist.

Hochachtungsvoll

Haeckel

Wenn Ew. Spectabilität dem Candidaten, wie Hr. College Haeckel vorschlägt, auf die Schwierigkeiten des Examens nochmals aufmerksam gemacht haben, und derselbe dennoch den Versuch machen will, so muß es dem Hrn. Collegen Haeckel überlassen bleiben, ob er für Zulassung zu stimmen geneigt ist.

Snell

- E. E. Schmid

Da der Candidat in Berlin in allen Fächern nicht befriedigt hat und es ihm an allgemeiner wissenschaftlicher Durchbildung zu fehlen scheint, stimme ich für Abweisung.

Stickel

Da Hr. College Haeckel von der Prüfung selbst keinen || günstigen Ausfall erwartet, so bin ich gegen die Zulassung des Candidaten zu derselben.

A. Geuther

Ich überlasse dem Herkommen gemäß dem Referenten das entscheidende Wort.

A. Schmidt

Desgl. Moriz Schmiddt

Desgl. E. Strasburger

gegen Zulassung R. Eucken

desgl. H. Gelzer

- Delbrück

Weil die Abstimmung kein genügendes Resultat ergeben hat, so ersuche ich Herrn Collegen Haeckel, mit einer bestimmten Entschließung zum Ja oder Nein gefälligst der Facultät voranzugehen.

Ich persönlich stimme für Abweisung, ersuche jedoch Ew. Spectabilität, den Candidaten mitzutheilen, daß nicht der Inhalt der fleißigen Arbeit und die derselben zu Grunde liegende Untersuchung, sondern die äußerst mangelhafte, einen logischen und stylistischen Fehlern reiche Form derselben die Facultät zur Abweisung nöthigen.

Haeckel

Wie ich schon vorher notirte, für Abweisung.

Stickel

Für Abweisung. E. E. Schmid

- A. Schmidt

- A. Geuther

- Moriz Schmidt

- Delbrück

- Eucken

- Sievers

- E. Strasburger

- H. Gelzer

Beschluß: Abweisung

Fortl.

a gestr.: wäre

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
10.12.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
UAJ
Signatur
UAJ, M 459, Bl. 67r-71r
ID
47417