Schmidt, Moritz

Missiv des Dekans der philosophischen Fakultät, Moriz Schmidt, Jena, 24. November 1874

Senior venerande

Assessores gravissimi,

Herr Gustav Adolf Schmeding, welcher beide theologische Examina bestanden hat, und zur Zeit als evangelischer Religionslehrer in Essen an der Ruhr angestellt ist, bewirbt sich von neuem (vgl. Reg. N. 44) unter Einreichung seiner Abhandlung

Essay on Shakespeare’s Henry V.

um Promotion in praesentia. Die Bedingungen sind erfüllt. Da ich ihn darauf aufmerksam machte, dass unsere Promotionsbedingungen den Gebrauch der deutschen oder lateinischen Sprache vorschreiben, hat er sich in einem besonderen Schreiben an Herrn Professor Sievers als Examinator im Hauptfach mit der Bitte gewendet, über diese Abweichung von der Regel gütigst hinwegsehen zu wollen. Ich ersuche Herrn Collegen Sievers um ein informatives Votum, ob die Abhandlung Unterlage für ein mündliches Examen genügt.

Hochachtungsvoll

Jena 24/11 74

Moriz Schmidt, Dr.

z. Z. Decan

Beschluß: Zulassung 9/12 74

Moriz Schmidt ||

Decane maxime spectabilis,

Ich habe die (übrigens in vorzüglichem Englisch geschriebene Abhandlung) zum Theil gelesen, bedaure aber ein Gutachten über dieselbe nicht abgeben zu können, da der Gegenstand, den sie behandelt, durchaus ausserhalb meines Faches liegt. Da das behandelte Drama insbesondere von ästhetischen Gesichtspunkten aus betrachtet ist und auch sonst die Studien des Candidaten nicht eigentlich sprachlicher Natur zu sein scheinen, so bedaure ich zugleich, ein Examen desselben über „Romanische und Englische Literatur“ nicht übernehmen zu können.

Hochachtungsvoll

E. Sievers, Dr.

Hiernach ersuche ich Herrn Collegen Prof. D. Eucken um ein Gutachten, ob die eingereichte Abhandlung bezüglich ihres Inhalts dasselbe Lob verdient, welches ihr von Professor Sievers bezüglich ihrer Form gespendet worden ist. Die Frage wegen des Examens im Hauptfach, welches allerdings von dem Herrn Referenten über die Arbeit abgehalten zu werden pflegt, kann wohl zunächst noch auf sich beruhen, bis über die Zulässigkeit oder Nichtannahme der Abhandlung entschieden worden ist.

Moriz Schmidt, Dr.

Decane maxime spectabilis!

Ich erlaube mir die gehorsame Bitte, einen anderen Referenten ernennen zu wollen, da die vorliegende Abhandlung ganz außerhalb meines Studienkreises fällt und ich also durchaus kein competentes Urtheil über dieselbe fällen kann.

Hochachtungsvoll

R. Eucken ||

Demnach ersuche ich Herrn Prof. Fortlage, uns über die Abhandlung des Herrn Schmeding ein Gutachten zu geben.

Moriz Schmidt, Dr.

Decane maxime spectabilis!

Ich habe mich bisher bei der Beurtheilung der Arbeiten unterzogen, welche in das Gebiet der Literaturgeschichte einschlugen, obgleich diese keineswegs mein specielles Fach ist, welches ich vertrete. Ich habe dieses in der Voraussetzung gethan, daß auch diejenigen meiner Herren Collegen, denen diese Sache ebenso nahe liegt, als mir, sich vorkommenden Falles mit derselben Bereitwilligkeit diesen Geschäfte unterziehen würden. Da ich nun gewahr werde, daß ich mich in diesem Punkte geirrt habe, so komme ich in die schiefe Lage, mir ein Specialfach ausschließlich anzumaßen, welches nicht das meinige ist. Diesen Makel von mir abzulehnen, sehe ich mich genöthigt, mich ebenfalls in mein Specialfach der speculativen Philosophie zurückzuziehen.

Hochachtungsvoll

Fortlage

Nachdem diejenigen Herren Collegen, an welche ich mich der Natur der Abhandlung nach zu wenden hatte, sämmtlich abgelehnt haben, uns ein informatives Votum abzugeben, sehe ich mich genöthigt, die Herren Assessoren zu befragen, was nunmehr geschehen solle.

Es könnte als der einfachste Ausweg: Zurücksendung auf Grund der gewählten Sprache erscheinen. Allein sobald der Verfasser die Mühe nicht scheut seine Arbeit zu übersetzen (– und er hat sich bereits in diesem Sinne ausgesprochen –) sind wir genau auf dem alten Flecke.

Auch ist es keineswegs das englische Gewand, an welchem die Herren Collegen Anstoss nehmen; Professor Sievers hat ja im Gegenteil bereits die Erklärung abgegeben, dass das Englisch vorzüglich sei, || sondern die Zumuthung aus ihrem Studienkreise heraus zu gehen (Erkl. 1 u. 2) und dadurch in unbilliger Weise belastet zu werden (Erkl. 3).

Im gegebenen Fall wird die Schwierigkeit besonders dadurch erhöht, dass der Verfasser, trotzdem er seinen Zeugnissen nach auf Promotion in absentia antragen konnte, doch Ritepromotion und zwar ein Examen in Literaturgeschichte (Engländer und Franzosen) als Hauptfach beantragt, wozu er nach den Promotionsbedingungen berechtigt ist, obschon dafür ein Vertreter im corpus academicus fehlt.

Meo voto ist indessen augenblicklich die Examensfrage noch Nebensache. Hauptsache ist zu erfahren, ob die Arbeit überhaupt den Forderungen entspricht, welche wir an solche Arbeiten zu stellen berechtigt sind. Und da College Fortlage uns das sagen kann (wie es bisher auch Cuno Fischer stets gethan hat), so meine ich, wir ersuchen ihn nochmals darum. Dass die Arbeit zwischen ihm und Collegen Eucken gleichmäßig vertheilt werde, – dafür zu sorgen ist ja ohnehin Sache des jedesmaligen Decans.

Jena den 30/11 74

Moriz Schmidt, Dr.

Decane maxime spectabilis

Es ist, da der Verfasser die Literaturgeschichte als Hauptfach des Examens gewählt hat, anzunehmen, dass er bei seiner Beurteilung des Shakespeare’schen Stückes weder den philologischen noch den ästhetischen, sondern den literaturhistorischen Gesichtspunkt vorzugsweise im Auge gehabt hat. Einem Votum über die Arbeit und eventuell einem Examen können wir uns nicht entziehen, da wir in unseren Promotionsbedingungen die Literaturgeschichte als ein Hauptfach des Examens aufgenommen haben. Da Herr Prof. Fortlage, welcher wie früher Hr. Prof. Kuno Fischer, bisher die dem Gebiet der Literaturgeschichte angehörigen Abhandlungen zu beurtheilen die Güte gehabt hat, in diesem Falle abgelehnt hat, so würde wohl unser Historiker Prof. Adolph Schmidt um sein Votum zu ersuchen sein, der zugleich unzweifelhaft im Stande ist, eventuell das Examen über französische und englische Literatur zu übernehmen.

Snell ||

Wie Ew. Sepctabilität schon hervorgehoben haben, ist zunächst nur ein Urtheil eines Facultätsgliedes darüber nöthig, ob die Arbeit des Candidaten ihn für zulässig zum Examen erscheinen läßt, resp. ob sie druckwürdig sey. Ich hoffe, dass Herr College Schmidt ein solches Urtheil abzugeben geneigt ist und dadurch die Vorfrage erledigt wäre. Wird die Druckwürdigkeit erkannt, so zweifle ich nicht, daß nach Mittheilung darüber, der Candidat vorziehen wird, wie es in einem ähnlichen Falle von einem Anderen geschehen ist, sich in absentia statt durch Examen promoviren zu lassen. Die Reisekosten hierher würden den Druckkosten der nicht gar umfänglichen Abhandlung mindestens gleichkommen. Auf solche Weise möchte nach meinem Dafürhalten zunächst in dieser Angelegenheit vorzugehen seyn.

Stickel

EbensoNipperdey

EbensoE. E. Schmid

Gegen die Vorschläge von den Coll. Snell und Stickel, da sie meiner Ansicht zu nichts führen werden, und für die Vorschläge Ew. Spectabilität.

A. Geuther

Nach dem im vorigen Sommer erneuerten Facultäts-Beschlusse sind die Arbeiten nur in deutscher oder lateinischer Sprache einzureichen. Daher ist nach meiner Ansicht die englisch geschriebene Arbeit zunächst zurückzusenden; wenn sie der Verfasser in deutscher oder lateinischer Sprache wieder einreichen sollte, ist nach dem Vorschlage Ew. Spectabilität zu verfahren.

Haeckel ||

Was die formelle Seite betrifft, stimme ich wie College Haeckel. Die Facultät nimmt nur deutsche oder lateinische Arbeiten an. Also ist eine englische abzuweisen.

Was die materielle Seite betrifft, so scheint es mir höchst unerfreulich, wenn für jeden einzelnen Fall eine mühselige Abhilfe gesucht werden soll. Der würdigste Ausweg scheint mir der zu sein, dass wir Literaturgeschichte als Hauptfach streichen, bis wir einen officiellen Vertreter dafür in der Facultät haben werden. Für Literaturgeschichte als Nebenfach werden sich Examinatoren zweifellos finden, für deutsche z. B. bin ich gern bereit, nach Kräften einzutreten.

Ich bitte Ew. Spectabilität, diesen meinen Vorschlag in der Ihnen geeignet erscheinenden Weise zur Kenntniß der Facultät zu bringen.

Delbrück

Für den vorliegenden Fall stimme ich den Vorschlägen Ew. Spectabilität bei, möchte aber für die Zukunft dem Antrag von Collegen Delbrück beitreten. Sodann erlaube ich mir die Bemerkung, daß ich die Recension der vorliegenden Abhandlung nicht ablehnte, um mich irgend einer Arbeit zu entziehen, sondern aus dem einfachen Grunde, daß ich mich nicht für einen competenten Beurtheiler halten kann. Und daraus kann mir meiner Überzeugung nach durchaus kein Vorwurf gemacht werden. Auch ich will mich keineswegs bloß auf die speculative Philosophie beschränken, aber ich meine, daß schwerlich je eine Bestimmung der Philosophie aufgestellt ist, welche die Literaturgeschichte mit umfaßt. Wenn der frühere Vertreter der Philosophie hierselbst dieses Fach mit übernommen hat, so ist eine solche Vielseitigkeit dankbar anzuerkennen, an sich aber hat die Literaturgeschichte mit der Philosophie gar || keine engere Berührung als mit mehreren anderen in der Facultät vertretenen Wissenschaften. Sollten in diesem Punkte die Ansichten in der Facultät auseinandergehen, so würde es sich empfehlen, in einer Sitzung einen Beschluß darüber herbeizuführen, ob hier für den Philosophen eine amtliche oder doch moralische Verpflichtung bestünde, Recensionen und Examen in der Literaturgeschichte mit zu übernehmen. Bis dahin ist es aber meine Pflicht, keine Aufgaben zu übernehmen, die nach meiner Überzeugung mir weder zukommen noch denen ich gewachsen bin. – Ich nehme mir die Freiheit, Ew. Spectabilität zu ersuchen, diese meine Überzeugung zur Kenntniß sämmtlicher Facultätsmitglieder gelangen lassen zu wollen.

R. Eucken

Decane maxime spectabilis!

Ich freue mich, den Herren Collegen Gelegenheit gegeben zu haben, sich über den wunden Fleck unserer Promotions-Statuten näher auszusprechen. Zu den verschiedenen von verschiedenen Gesichtspunkten aus gemachten Vorschlägen, über welche wohl am besten in einer Facultätssitzung abzustimmen sein würde, füge ich noch die folgenden zwei:

1) Es ist dafür zu sorgen, daß an unserer Universität ein besonderer Lehrstuhl für Allgemeine Literaturgeschichte errichtet werde.

2) Es haben sich, bis dieses zu Stande kommt, diejenigen Herren Collegen, an deren Studien dieses Fach am nächsten grenzt, gemeinschaftlich bereit zu erklären, sowohl die Beurtheilung der einschlagenden Arbeiten, als die Abhaltung der betreffenden Examina unter sich zu theilen; in welcher Hinsicht ich das bereits gemachte Anerbieten des Collegen Delbrück dankbar acceptire.

Aber mit allen diesen wohlgemeinten Vorschlägen ist der augenblicklichen Verlegenheit nicht abgeholfen, welcher doch || im Gesamtinteresse der Facultät so rasch als möglich ein Ende zu machen ist. Ich gebe daher für dieses mal, um die Sache zum Schlusse zu bringen, dem Wunsche Ew. Spectabilität entsprechend, ein Votum, wie folgt:

Die Abhandlung des Herrn G. A. Schmeding: Essay on Shakespeare’s Henry V. enthält eine wohl geordnete Exposition des Schauspiels, mit Hervorhebung seiner Vorzüge und verständiger Zurückweisung einiger dem Dichter von mehreren Kritikern, insbesondere von Benedix, gemachten tadelnden Einwendungen. Auch ist die gegebene Charakterzeichnung Heinrichs V. eine wohl gelungene zu nennen. Nach meinem Urtheil ist daher die Abhandlung sowohl für eine Promotion in absentia, als zur Unterlage für ein Examen in der Literaturgeschichte wohl geeignet.

Hochachtungsvoll

Fortlage

Nachdem wir durch die Güte des Herrn Collegen Fortlage aus der Hauptschwierigkeit heraus sind, ersuche ich die Herren Assessoren nach Anleitung des Votums über die Zulassung des Candidaten zu votiren, zugleich aber mich zu ermächtigen, den Bewerber in meinem Antwortschreiben von dem Schlusspassus des Fortlage’schen Urtheils Kenntniß zu geben und ihm die weitere – wohl nicht zweifelhafte – Entschließung zu überlassen.

Jena, den 7ten Dec.1874

Moriz Schmidt, Dr.

Decane maxime spectabilis.

Für Zulassung zum Examen. Im Uebrigen wie Ew. Spectabilität vorschlagen.

Snell

EbensoStickel

- Nipperdey

- E. E. Schmid

- A. Geuther

- Hildebrand

- Fortlage

- E. Strasburger

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass eine englisch geschriebene Arbeit abzuweisen ist, demnach für Abweisung.

Delbrück

- Eucken

Wie Herr College Delbrück für Abweisung.

Haeckel.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
24.11.1874
Entstehungsort
Zielort
Jena
Besitzende Institution
Universitätsarchiv Jena
Signatur
UAJ, M 440, 9r-12v
ID
47390