Desaga, Oscar

Oscar Desaga an Ernst Haeckel, Straßburg, 14. März 1872

PHARMACIE ÈTOILE

27 RUE FAUBOURG DE PIERRES

STRASBOURG

OSCAR DESAGA

PHARMACIEN

Strasbourg le 14ten Merz 1872

Seiner Hochwohlgeboren, dem Dekan der philosophischen Fakultät

in Jena

Geehrtester Herr Dekan!

Nach Empfang ihres Werten Schreibens vom 12ten dieses Monats habe ich sogleich an die Verwaltung des Pharmazeutischen Centralanzeigers von Neustadt-Eberswalde geschrieben und um Zusendung der betreffenden Nummern, welche ich alsbald der Staatsanwaltschaft in Minden übermachen werde, gebeten.

Ich selbst habe nichts gegen den Schurken unternommen, da derselbe mir meine verlorene Ehre und Seelenruhe doch nicht wieder zurückerstatten kann.

Ihre Bekanntmachung hat nun die Runde durch alle deutschen Blätter gemacht und ist sogar in dem in französischer Sprache erscheinenden Industriel || de Mulhouse, durch welchen sie rasch in die französischen Journale Frankreichs übergehen wird, abgedruckt worden.

Es wird mir demnach auch der letzte Rückzug nach diesem Lande verschlossen sein.

Ich empfinde tief das Bewußtsein des Unrechts, welches ich in der Uebereilung und Verblendung eines Augenblickes begangen; dass ich aber eine so schreckliche Strafe hiefür erleiden muß, das ist zu viel.

Ich bin krank, mein Muth ist gebrochen; wie ein Räuber oder Mörder durch alle Zeitungen Europas gebrandmarkt, sehe ich keine einzige Stätte offen, wo ich unerkannt verbluten könnte.

Ich kann nicht mehr leben, ich vermag es nicht. Ach Herr Dekan, der Sie mit meiner Lage Bedauern zu empfinden scheinen, haben Sie meiner armen Frau, welche nun schon seit fünf Monaten schwer krank darnieder liegt und meiner kleinen Kinder willen Erbarmen mit mir und zeigen Sie mir den Weg an, wie ich mich rehabilitiren kann.

Ich bin nicht der Mensch, für welchen sie mich nach Entdeckung der || versuchten Substitution halten mußten.

Betrachten Sie die beiliegende Nummer des Niederrheinischen Couriers vom 8ten November 1870; der Artikel, welchen meine Mitbürger von Straßburg-Neudorf mir widmen, ist vielleicht der beredteste Fürsprecher, welcher die Nichtachtung, die ich in Ihren und der hochlöblichen Fakultät Augen erlitten, wie ich es von Herzen hoffe, einigermaßen abschwächen dürfte.

Nur auf diese Art und eine, infolgedessen von Ihnen ausgehende erneute Bekanntmachung glaube ich in den Augen der Welt die Ehre wiederzuerlangen, welche ich in dem Taumel eines traurigen Momentes verscherzt.

In banger Erwartung, von Ihnen geehrter Herr Dekan mit einer baldigen || wohlgefälligen Antwort begehrt zu werden empfiehlt sich Ihnen in tiefster Hochachtung

Ihr

ergebenster Diener

O. Desaga

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.03.1872
Entstehungsort
Zielort
Jena
Besitzende Institution
Universitätsarchiv Jena
Signatur
UAJ, M 422, 69r-70v
ID
47302