Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Marburg an der Drau, 17. Juni 1899

Marburg 17. VI. 99.

Inniggeliebter und verehrter Freund!

Länger darf ich nicht säumen, Ihnen für die neuerliche herrliche Gabe zu danken, denn ich weiß nicht, wann bei Ihnen die Ferien beginnen. Sie können plötzlich über alle Berge sein, und wann finden Sie dann meinen Dank?

Ich gestehe Ihnen offen, daß ich’s begreife, wenn die Formen, die Sie uns da vorführen, auf schöpferische Gedanken bringen. || Man muß ein so hartgesottener, vielleicht übersottener Anhänger der Entwicklungslehre sein als ich, und dabei sowenig an eine Kunst, als bei Ihrer natürlichen Geschichte an einen Schöpfer zu denken. Aber staunen muß auch ich, und hin und wieder komm’ ich aus dem Staunen gar nicht heraus. Und nicht blos über die Natur, auch über die menschliche Geschicklichkeit, die derlei reproducirt. Lange darf ich die Bilder nicht anseh’n, aber doch lange genug, um sie || zu genießen. Recht von Herzen danke ich Ihnen dafür.

Hoffentlich geht es Ihnen allen so, daß Sie einen großen, Geist u. Leib erfrischenden Ausflug unternehmen können!

Meine Leiden nehmen zu, aber langsam, und noch geh’n sie nicht über meine Kraft, weshalb der Humor nichts zu wünschen läßt. Das Einzige, das mir zu denken geben könnte, wären meine Augen; da aber dieses Denken zu nichts führen würde, so lasse ich vor der Hand dieses Denken bleiben. ||

In den ersten Tagen Juli denke ich (das ist ein ersprießliches Denken) wieder nach Krumpendorf zu geh’n, und zwei Monate dort zu bleiben. Wenn ich Ihnen nur sagen könnte, wie lebhaft ich Sie dort immer seh’n kann! Meinen Kindern, die schon dort sind, könnte es, unberufen, (das ist ein heidnischer Aberglaube) nicht besser geh’n: die sind meine Zukunft. Und damit drückt auch für die Zukunft Sie an’s Herz Ihr

Carneri

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
17.06.1899
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4721
ID
4721