Schmidt, Heinrich

Heinrich Schmidt an Ernst Haeckel, Saarbrücken, 13. Juni 1918

Saarbrücken, 13. Juni 1918

Lieber verehrter Meister!

So geht mein alter Traum also doch in Erfüllung! Ich habe auch wirklich nie an seiner Verwirklichung gezweifelt, wenns auch manchmal trüb aussah. Die beste Lösung für alle Beteiligten. Sie wissen nun, daß Ihre Arbeit in einem Mittelpunkt vereinigt und von da aus fortgesetzt wird. Ihr Sohn wird sich freuen, daß er in München wohnen bleiben kann. Ich darf hoffen, eine feste Position einzunehmen, die mich – endlich! – auch vora Not und Sorgen schützt. Die Universität Jena erhält ein neues und wertvolles, einzigartiges Institut, und die Karl Zeiß-Stiftung macht es nutzbar für die Allgemeinheit. Die Stiftung wird mir sicherlich auch später beistehen, wenn || es gilt, das „Haeckel-Archiv“ auszubauen und fruchtbar zu machen.

So groß wie meine Freude über die gute Nachricht ist das Gefühl des Dankes für Ihre unerschöpfliche Güte, mit der sie mein Leben immer wieder lebenswert machen.

Seit Montag hat sich mein Schicksal hier zum Besseren gewendet. Ihre Nichte, Frau Wirkliche Geheime Kriegsrat Haeckel, die mich zum Samstag zum Abendessen eingeladen hatte, hat mir in ihrer gütigen Art ihr Fremdenzimmer zur Verfügung gestellt. So bin ich denn aus der Kaserne ausgezogen, wo ich 14 Tage lang beinah wie ein Tier gelebt habe, und fühle mich nun wieder Mensch. Man muß so etwas erlebt haben, um ein kleines behagliches Zimmer und ein sauberes weißes Bett ganz schätzen zu lernen. Ich nehme auch die Mahlzeiten im Hause mit ein. ||

Ferner ist da Dr. Kleinsorge, der im Hygienischen Institut (für Typhus-Bekämpfung) Dienst tut, der in rührender Weise besorgt ist, meinen erzwungenen Aufenthalt in Saarbrücken so angenehm wie möglich zu machen. Einer seiner Anzüge, seine Hemden, Schuhe, Kragen passen mir vorzüglich! Sie erlauben mir, manchmal die Soldatenmaske abzuwerfen und als freier Mensch umherzuwandeln.

Endlich hat sich auch eine Änderung in meinem Dienst vollzogen. Ich bin seit Dienstag zum Bataillon kommandiert und bin sozusagen der Adjutant des Bataillons-Adjutanten und Leutnants Behrmann (Hamburger Lehrer). Ich sitze in seinem Zimmer neben ihm und bearbeite jetzt die Anträge des Bataillons betreffend Verwundeten-Abzeichen, sowie die Personalakten der Offiziere. ||

Mein Dienst beginnt vormittags zwischen ½ 9 und 9 und dauert bis ½ 1, nachmittags von 3-7. Es wird aber nicht allzustreng genommen mit Einhaltung dieser Zeit. Leutnant Behrmann behandelt mich ganz kameradschaftlich. Wir unterhalten uns sehr viel über religiöse, soziale und Schulfragen. Ich kann mir keinen angenehmeren Dienst wünschen. Da mich aber der Oberstabsarzt hier dauernd arbeitsverwendungsfähig für die Etappe geschrieben hat, so würde ich wohl bald wieder herausgezogen und in die Etappe versetzt werden – wenn nicht Ihre Reklamation mich ganz befreien würde. Und das wird sie aller Voraussicht nach tun, wie mir der Leutnant sagt, wenn aber nicht im Generalkommando ein neuerer Wunsch dazwischen tappt. Hier ist die Reklamation seit einigen Tagen, und wenn alles gut geht, hoffe ich Sie vielleicht schon in der nächsten Woche wiederzusehen. ||

2.

Sehr betrübt hat mich die Nachricht von Ihrem neuerlichen Unfall. Sie sollten gar nicht mehr allein sein, wenn Sie umher gehen. Wenn ich wieder in Jena bin, werde ich mich bei Ihnen zum „Hilfsdienst“ melden. Verfügen Sie über mich. Die Arbeit, die ich in der letzten Zeit beginnen (oder vielmehr fortsetzen) will, nämlich Ihre Biographie, wird dabei mehr gefördert werden, als wenn ich immer zu Hause oder im Archiv sitze.

Nochmals herzlichst dankend für alles Liebe und Gute, das mir von Ihnen kam und noch immer kommt, und hoffend, bald wieder bei Ihnen zu sein, bleibe ich

Ihr treuer Jünger

Heinrich Schmidt

Heute Mittag war mal wieder Flieger über der Stadt. Eine rege Schießerei!

a gestr.: frei; eingef.: vor

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.06.1918
Entstehungsort
Zielort
Jena
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 47202
ID
47202