Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Marburg an der Drau, 27. Juni 1895
Marburg 27. VI. 95.
Geliebter und verehrter Freund!
Wenn ich auch schreiben könnte, wie ich wollte, nie könnt’ ich Ihnen sagen, wieviel Freude mir Ihr Brief gemacht hat. Es ist daher ganz umsonst, bei meinem beschränkten Schreibvermögen es zu versuchen. Denken Sie ich blicke in Ihre Augen und drücke Ihnen die Hand.
Ich kann es zwar kaum für möglich halten, daß Sie in einigen Wochen wieder an den Wörthersee kommen; || sollte dies aber auch eine bloße Hoffnung bleiben: es ist eine Hoffnung, bei der ich das Gefühl habe, wieder gesund zu sein! Thatsächlich scheint ein Stillstand bei meiner Thalfahrt eingetreten zu sein, und in den ersten Tage Juli werde ich nach Kärnten können.
Und wie soll’ ich Ihnen danken für die ganze Liebe, die aus Ihrer Mittheilung puncto Tille spricht? Ich habe gleich das Buch bestellt u. dürfte es bald erhalten. Ich kann || mir die Brücke a , die von Nietzsche zu einer menschlichen Moral führt, gar nicht vorstellen und bin über alle Maßen darauf gespannt.
Ihre Zustimmung zu meiner Besprechung „Robespierre’s“ ist für mich von unendlichem Werth; denn ich bin überzeugt, daß wir es da mit echter Genialität zu thun haben. Und Sie können überzeugt sein, daß Sie wesentlichen Theil haben an der Entwicklung dieses Genies.
Ich muß schließen; aber Eines hat kein Ende: die Dankbarkeit, mit der Ihnen ergeben ist
Ihr
Carneri
a gestr.: gar nicht vorstellen