Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an die Mitglieder der mathematisch-naturwissenschaftlichen Section der philosophischen Facultät, Jena, 1 Februar 1880

Circular für die

Mitglieder der mathematisch-

Naturwissenschaftlichen

Section der philosophischen

Facultät, die Herren

Snell a

Ernst Schmid b

Geuther c

Strasburger d

Thomae e

Hochgeehrte Herren Collegen!

Nachdem der Herr Curator von den Resultaten der gestrigen Senats-Sitzung Kenntniß erhalten, hat derselbe mich dringend ersucht, das darin angekündigte Separat-Votum nicht zu unterlassen, sondern möglichst bald zur Ausführung zu bringen und womöglich zu einem einstimmigen Votum aller Mitglieder der mathematisch-naturwissenschaftlichen Section zu gestalten. Selbstverständlich liegt eine solche || Einstimmigkeit in unser Aller eigenstem Interesse.

Zunächst erlaube ich mir nun, Ihnen beifolgenden, vorläufigen und natürlich ganz unmaßgeblichen Entwurf des von mir im Senate angemeldeten Separat-Votums zur geneigten Kenntnißnahme vorzulegen. Da jedoch derselbe voraussichtlich nicht allen Wünschen entsprechen und eine mündliche Besprechung zur Amendirung wohl nicht zu umgehen sein wird, so erlaube ich mir, Sie zu letzterem Zwecke heute Abend 6 Uhr in meine Wohnung einzuladen.

Natürlich ordne ich mich aber Ihren Wünschen unter, falls Sie eine andere Zeit und einen anderen || Ort der Zusammenkunft wünschen. Vielleicht ist es auch zweckentsprechend, wenn eventuelle Amendements am Rande des Entwurfs bemerkt werden.

Mit der Bitte, dieser wichtigen Angelegenheit, welche auch die Zukunft der Facultät in ihren Consequenzen beeinflußt, Ihre Theilnahme nicht zu versagen.

Hochachtungsvoll

Haeckel

Jena 1. Februar 1880.

[Beilage]

Separat-Votum der

Vertreter der mathematischf-

Naturwissenschaftlichen g Fächer der

Philosophischen Facultät.

Hohes Staats-Ministerium!

Aus Veranlassung des Beschlusses der philosophischen Facultät, betreffend die Beförderung des Professor extraordinarius Dr. Goetz zum Ordinarius und die daran geknüpfte „gleiche Beförderung“ der Professoren Gaedechens und Schäfer, sehen sich die Unterzeichneten dissentirenden Mitglieder der Facultät zu folgender Erklärung gedrungen:

I. Da durch die Beförderung des Dr. Goetz die vacante ordentliche Professur der Philologie || in wünschenswerther Weise ausgefüllt wird, schließen sie sich dem bezüglichen Votum der übrigen Facultäts-Mitglieder, welches die betreffendende Anfrage der hohen Staats-Regierung bejahend beantwortet, einstimmig an.

II. Dagegen können die Unterzeichneten nicht das im Anschluß daran von der Majorität der philosophischen Facultät gestellte Verlangen theilen, daß auch dem ordentlichen Honorar-Professor Drh. Gaedechens und dem außerordentlichen Professor Dr. Schäfer die „gleiche Beförderung“ zu Theil werde. Obgleich sie die verdienstvolle wissenschaftliche und Lehr-Thätigkeit der beiden genannten Professoren vollständig anerkennen und den Wunsch theilen, daß ihnen dafür eine ent- || sprechende Anerkennung (– namentlich durch Aufbesserung ihres Gehaltes –) zu Theil werde, so können sich die Unterzeichneten doch nicht dem i Antrag anschließen, daß für die genannten beiden Dozenten zwei neue ordentliche Professuren, eine für Archäologie und eine für Geschichte des Mittelalters, j gegründet werden. Denn wenn wirklich eine Anzahl neuer ordentlicher Professuren in der philosophischen Facultät gegründet werden sollten, so würde nach der Überzeugung der Unterzeichneten ein viel dringenderes Bedürfniß für mehrere, bisher nicht durch ordentliche Professoren vertretene naturwissenschaftliche Fächer vorliegen, als für die beiden oben genannten historisch-philologischen Fächer. || Ohnehin sind schon jetzt k in unserer Facultät die philosophisch-historischen Disziplinen mit Bezug auf die Zahl der ordentlichen Professoren sehr bevorzugt vor den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern, trotzdem die Zahl der Studierenden in den letzteren ungleich größer ist, als in den ersteren. xl

x Nach Ausweis unseres Personal-Verzeichnisses beträgt gegenwärtig die Zahl der Studierenden in den Fächern der Philosophie, Philologie und Geschichte 52, in den Fächern der Mathematik und Naturwissenschaften 137. In letzten Sommer-Semester betrug die Zahl der ersteren 67, die der letzteren 159. Außerdem ergiebt die vergleichende Statistik, daß an allen übrigen deutschen Universitäten gleichen Ranges (mit 400-600 Studierenden) die Zahl der ordentlichen Professoren in den philosophisch-historischen Fächern geringer oder höchstens ebenso groß, in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern hingegen größer ist, als es in unserer Facultät der Fall ist.

Vor allem endlich glauben die Unterzeichneten auch bei dieser Gelegenheit als die der Zeit dringlichsten Bedürfnisse die Besetzung der ordentlichen Professuren für Physik und für National-Ökonomie in den Vordergrund stellen zu müssen.

Hochachtungsvollst

Snell. E. E. Schmid.

Geuther. Haeckel.

Strasburger. Thomae.

1. Februar 1880.

[Beilage]

Statistische Tabelle über die Zahl der ordentlichen Professuren in der philosophischen Facultät von 10 verschiedenen Universitäten.

Jena, 1. Februar 1880. E. Haeckel

Zahl d.

Studir.

450-550

400-

500

400-

500

300-400

500-

600

250-350

500-600

600-800

700-800

800-900

Universität

Jena

Frei-burg

i/B

Erlangen

Giessen

Mar-

burg

Kiel

Greifs-wald

Heidel-berg

Königs-berg

Würz-burg

Mathe-

mat.

1

1

1

1

1

1

1

1

2

2

Physik

1

1

1

1

1

1

1

1

Chemie

1

1

2

1

2

2

2

2

3

2

Geologie

(Mineral.)

1

1

1

1

2

1

1

1

1

1

Botanik

1

1

1

1

1

1

1

1

1

1

Zoologie

1

1

1

1

1

1

1

1

1

1

Philosophie

2

1

2

2

2

1

2

1

1

2

Geschichte

2

1

1

1

2

2

2

2

2

2

Classische

Philologie

2

2

2

2

2

2

3

2

3

2

Germani-sche Philologie

1

1

1

1

1

1

1

2

1

1

Semitische

Philologie

1

1

1

1

1

2

1

1

Comparative Linguistik

1

1

1

2

1

1

1

Staats-Wissensch.

(Nat.Oekon.)

1

1

2

2

2

2

1

2

2

2

Naturw./

Philolog.

6/10

6/6

7/9

7/10

8/11

8/11

7/12

7/10

9/11

8/10

a Antwortvermerk: Ich werde zu dem Congreß erscheinen. Snell; b Antwortvermerk: Ebenso E. E. Schmid; c Antwortvermerk: Pr. A. Geuther; d Antwortvermerk: wird erscheinen., e Antwortvermerk: wird erscheinen.; f gestr.: Mitglieder der; g gestr.: Section der; h eingef.: Dr.; i gestr. Wunsch; j gestr.: neu; k gestr.: in der; l eingef.: Nach Ausweis … in unserer Facultät der Fall ist

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
01.02.1880
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 46768
ID
46768