Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Marburg an der Drau, 21. November 1891

Marburg 21. Nov. 1891.

Geliebter und hochverehrter Freund!

Wie hätten Sie auch wissen sollen, daß ich am 3. Dieses geboren bin? Daß Sie mir, so oft Sie meiner gedenken, alles Gute wünschen, weiß ich, und nur dafür habe ich Sinn. Darum drücke ich Ihnen für Ihre lieben, guten Worte von ganzem Herzen die Hand. Daß ich mein 70. Jahr vollendet habe, ist mir gar nicht angenehm, aber ich finde mich darin wie in gar Manches, was mir unangenehm ist. Darum war mir die Feier, die ich mir übrigens gar nicht, besonders in so großartigem Maßstab nicht erwartet hatte, mitunter komisch. Freilich war sie gleichzeitig eine Demonstration gegen die vereinigten Ultradeutschen, Antisemiten und Clericalen, die mich bei den letzten Reichrathswahlen zu Fall gebracht haben. Über Letzteres war ich || gar nicht unglücklich. Die Sache ging, bei meinem, wenn auch langsam, doch stetig zunehmenden Leiden, schon längst über meine Kräfte, und nur der Partei wegen that ich noch mit. Dreißig Jahre ununterbrochene parlamentarische Thätigkeit sind schon etwas. Der Abschluß war schön, und die Adressen aus Wien, Graz u. Marburg nebst 309 Zuschriften wirklich ergreifender Art, beweisen mir, daß ich mir eine sehr große Zahl Freunde gemacht habe, was nach meinen Begriffen das Höchste ist. Dazu kommt, daß bei dieser Gelegenheit die Zeitungen über meine Schriften vortheilhaft wie noch nie sich ausgesprochen haben. Ich schreibe Ihnen das alles so detaillirt, weil ich weiß, welchen warmen Antheil Sie an allem nehmen, was mich betrifft, und um es Ihnen zu sagen, wartete ich nur, bis ich mit meinen Danksagungen (durch 3 Wochen that ich nichts Anderes) zu Ende wäre, was seit gestern Abend der Fall ist. Daher auch die Verzögerung || meiner Antwort auf Ihren lieben, lieben Brief, der mich nicht mehr hätte freuen können.

Die Herstellung Ihrer verehrten Frau weiß ich zu würdigen. Es macht mich glücklich, Ihren Himmel wolkenlos zu sehen. Die Trennung von Ihrer geliebten Tochter wird wohl ein Schmerz sein; aber sie geht ihrem Glück entgegen und das ist das Erste. Zudem ist Leipzig für Sie keine Entfernung.

Meine Kinder, die ich im Moment hier habe, unda die Ihre lieben Grüße herzlichst erwiedern [!], sind glücklich und mehr brauche ich nicht. Sie haben sich am Wörthersee eine reizende Villa gebaut, in der ich jährlich einige Sommerwochen verbringen werde. Im Frühjahr werde ich, solang es meine Zustände gestatten, jährlich auf vier Wochen nach Wien gehen, um meinen alten Freuden zu leben, gewöhnlich von halben April bis halben Mai. Wie ich weiß, wann ich mich dahin begebe, schreibe ich es Ihnen, || damit wir uns ja nicht verfehlen. Kommen Sie durch Wien, so wäre es immer gut, wenn sie im Hôtel Meissl beim Portier nachfragen wollten, ob ich da bin oder erwartet werde? Und kämen Sie unerwarthet durch Graz, so thun Sie, ja?, ein Gleiches im Hôtel Kaiserkrone, in der Färbergasse, fast im Centrum der Stadt; denn ich fahre öfter auf 2 Tage dahin. Der Gedanke, Sie wieder zu sehen und wieder einmal mich mit Ihnen mich recht ausplaudern zu können, erfüllt mich mit unaussprechlicher Freude. Ich verdanke Ihnen, außer der wichtigsten Belehrung, so viele Stunden, die ich immer zu den schönsten Stunden meines Lebens zählen werde. Mehr giebt’s nicht als einen Verkehr, bei dem zu einer tiefgehenden geistigen Anregung das Gefühl wahrer Freundschaft sich gesellt.

Und nun nochmals den wärmsten Dank für Ihre lieben Glückwünsche, die der würdigste Schlußstein der Feier waren, welche glücklich überstanden hat

Ihr treuergebener

B. Carneri

a eingef.: und

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
21.11.1891
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4663
ID
4663