Wagner, H.

H. Wagner an Ernst Haeckel, Jena, 12. Februar 1878

Ew. Hochwohlgeboren

erlaubt sich die ergebenst unterzeichnete Verbindung ein Schriftstück zu geneigter Berücksichtigung zu überreichen, das sie bereits beim Illustren Senate eingereicht hat und dessen genauere Kenntniß seitens der hochverehrlichen Mitglieder des Illustren Senates der unterzeichneten Verbindung sehr am Herzen liegen muß, da sie der Ueberzeugung lebt, daß der Gegenstand der Darlegung mit ihren Principien und der Tragweite ihrer Bestrebungen auf das Innigste verknüpft ist.

Ew. Hochwohlgeboren

ergebenste

Studentische Reformverbindung

gez: H. Wagner.

Jena, den 12. Februar 1878.

[Beilage. Eingabe der Studentischen Reformverbindung an den Senat der Universität Jena]

Ew. Magnificenz

und Einem Illustren Senate

der Universität Jena.

erlaubt sich die gehorsamst unterzeichnete Verbindung, gedrängt durch Vorfälle der jüngsten Vergangenheit, folgendes zu geneigter Kenntniß zu bringen.

Die studentische Reformverbindung ist neuerdings wieder einmal so sehr in ihren Rechten beeinträchtigt und bis in den Illustren Senat hinein verleumdet worden, daß sie eine Klarlegung der obwaltenden Mißstände dem Illustren Senate unterbreiten zu müssen glaubt. Sie thut es mit um so größerer Zuversicht, als sie überzeugt ist, mit ihren Rechten die Rechte aller Studirenden überhaupt zu vertreten. Handelt es sich doch um nichts Geringeres als um die Gleichberechtigung aller Commilitonen und studentischen Verbindungen zugleich|| unter einander und vor den academischen Behörden.

Die studentische Reformverbindung entstand im Februar 1871 bei Gelegenheit eines öffentlichen Aufzuges, bei dessen Anordnung es sich herausstellte, daß die Burschenschaften und Corps in schroffer Weise sich einen Vorrang vor allen anderen Studenten und studentischen Verbindungen anmaßten, den sich diese unmöglich gefallen lassen konnten. Diese Anmaßung hing mit ihrer ganzen Anschauungsweise und Organisation zusammen. Die Anhänger der Reform benutzten daher diese Gelegenheit, um eine Vereinigung zu gründen, die sich zur Aufgabe setzte, die Gleichberechtigung aller Studirenden zu betonen und den Mißständen, welche dieselben beeinträchtigten, nach Kräften abzuhelfen. Schon der Umstand, daß die Burschenschaften und Corps jeder studentischen Verbindung die Anerkennung versagen, wenn sie keine eigenen Waffen für Mensuren besitzt, bezeugt schlagend, daß sie die Mensur, obgleich dieselbe doch gesetzlich verboten ist und von der Mehrheit auch der Studirenden als ein wenig ehrenvolles Ueberbleibsel einer roheren Vergangenheit betrachtet wird,|| für ein grundlegendes Princip ihrer Verbindungen achten. Die Reformverbindung versäumte daher nicht, ihren Mitgliedern das Duelliren in aller Form zu verbieten: Die Betonung dieser Grundsätze hatte ein Verhalten der Burschenschaften und Corps gegen die studentische Reformverbindung zur Folge, über welches ein Illustrer Senat am besten aus den Acten des Universitätsgerichtes ein Urtheil gewinnen wird.

Darnach dürfte auch eine Zuschrift an den Illustren Senat im vergangenen Sommer-Semester zu bemessen sein, die einen Vorfall berührte, dessen Untersuchung seitens des Universitätsgerichts-Amtes noch nicht beendet ist.

Daß die Zustände seit 1871 leider keine besseren geworden sind, haben uns die jüngsten Vorfälle bei Gelegenheit des Begräbnisses des Geheimen Regierungs Rathes Prof. Dr. Hildebrand gelehrt. Mit der größten Bereitwilligkeit folgte die studentische Reformverbindung der Aufforderung Eurer Magnificenz am Zuge Teil zu nehmen. Daß Zwistigkeiten bei der Anordnung desselben dieses Mal stattfinden könnten, schien undenkbar; denn im Sommer-|| Semester 1874 war unter den Auspicien Seiner Magnificenz des damaligen Prorectors ein Uebereinkommen zwischen den einzelnen Vertretern der Studentenschaft dahin getroffen worden, daß künftig Burschenschaften und Corps den Zug eröffnen und abschließen sollten und zwar in der Weise, daß sie miteinander im Vortritt abwechselten, die übrige Studentenschaft sollte ein für alle Mal die Mitte des Zuges bilden. Diese Anordnung geschah angeblich „lediglich aus ästhetischen Rücksichten“. Offenbar war aber, da Burschenschaften und Corps somit allein auf den Vortritt Anspruch hatten, das Princip der Gleichberechtigung für die Zukunft factisch wieder in Frage gestellt.

Die studentische Reformverbindung glaubte daher, sich den getroffenen Vereinbarungen nicht anschließen zu dürfen, erklärte aber später dennoch, um nicht als Friedensstörerin zu gelten und in dankbarer Anerkennung der Bemühungen Eines Hohen Prorectorates ihren Beitritt zur Convention, ein Schritt, welchen der damalige Prorector Herr Kirchenrath Dr. Pfeiderer officiell und urkundlich bestätigte.||

Trotzdem sollte die gehorsamst Unterzeichnete die bittere Erfahrung machen, daß sie seitens der übrigen Corporationen als durchaus rechtlos angesehen werde. Denn es wurde derselben durch Ew. Magnificenz der Beschluß der von Ew. Magnificenz gehörten Vertreter mitgeteilt:

Die übrigen studentischen Corporationen protestierten gegen eine Theilnahme der studentischen Reformverbindung am Zuge, gewährten ihr aber aus Rücksicht auf die Intervention Ew. Magnificenz sowohl, als auf den ernsten Character der Feierlichkeit überhaupt eine Stelle zwischen dem Gesangverein Paulus und der Gruppe der Burschenschaften (nach studentischer Anschauung die letzte Stelle des Zuges).

Obwohl nun die gehorsamst Unterzeichnete, um ihren guten Willen zu beweisen, dieses ehrenkränkende Anerbieten acceptirte, so ward sie doch während der Feierlichkeit als nicht vorhanden betrachtet, indem der Chargirte der den Zug anführenden Verbindung allen Fahnenträgern seine Weisungen erteilte, den unsrigen aber ignorirte. Der studentischen Reformverbindung ist es völlig gleichgültig, welchen|| Platz sie bei solchen Aufzügen einnimmt, wenn nur die Gleichberechtigung aller Studirenden und studentischen Verbindungen im Princip klar und deutlich anerkannt wird.

Aus diesem Gesichtspunkte erlaubt sich daher die gehorsamst Unterzeichnete Einem Illustren Senate ehrfürchtig die ergebene Bitte zu unterbreiten:

Ein Illustrer Senat wolle eine dauernde Beseitigung solcher Mißstände veranlassen und die in Frage stehende Gleichberechtigung dadurch zum Ausdruck bringen, daß bei feierlichen academischen Aufzügen künftig die Reihenfolge der studentischen Corporationen entweder durch das Los oder durch einen feststehenden Turnus, der alle Bevorzugung aufhebt, entschieden werde.

In der Hoffnung auf geneigtes Gehör unterzeichnet

ergebenst

Eines Illustren Senates gehorsamste

studentische Reformverbindung

zu Jena

I. A. Gez. H Wagner.

Jena, den 10. Februar 1878.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.02.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 46362
ID
46362