Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Graz, 31. Dezember 1882

Gratz 31. Dez. 1882

Verehrter und geliebter Freund!

Tausend Dank in unser aller Namen für Ihre lieben Wünsche, die von uns allen herzlichst erwidert werden. Möchte das kommende Jahr Ihnen und Ihren Lieben zu einem möglichst heitern sich gestalten! Das ist die Hauptsache.

Die Nachricht, daß alle Ihre Unterhandlungen wegen Herausgabe des illustrirten Werkes über Ceylon resultatlos geblieben sind, hat mich sehr schmerzlich berührt. Das Buch würde ich aber an Ihrer Stelle unter allen Umständen aus Vorlesungen allmälig hervorgehen lassen. Auch die Skizzen bleiben und plötzlich können bessere Verlagszeiten eintreten.

Ihre verehrte Gemahlin hat ganz recht, meinen Vergleich am Schluß des Condillac-Artikels etwas übertrieben zu finden, damit Sie sich nämlich ihr gegenüber nicht übernehmen. Darum ist doch das Bild, || das ich da von Ihnen entwerfe, ein treffendes: Der Haeckel ist’s, wie er leibt und lebt. Und der Vergleich ist vollkommen richtig: wir haben Beide Recht. Die einstigen Götter waren Haeckels. Nicht die Protistenseele denkt, sondern umgekehrt: das Denken ist nur eine entwickeltere Form der Protistenthätigkeit.

Es ist merkwürdig, wie die neueste Zeit mehr und mehr in eine neue metaphysische Phase sich hinüberarbeitet. Wäre das nicht, so würde ich mich ganz gerne mit manchen an sich ganz unschuldigen Wendungen abfinden; allein unsere modernen Aprioristen nehmen Einen gleich beim Wort und wissen alles zu ihren Zwecken auszunützen. Es gehört zur allgemeinen Reaction, und da wird mein Widerstand immer energischer werden. Übersehen Sie nicht im Dezember Heft des Kosmos meine Besprechung eines Buches von Albrecht Rau. Das Jännerheft bringt von mir einen Artikel: Staat und Sittlichkeit, den ich Ihnen warm an’s Herz lege. Noch wärmer an’s Herz lege ich Ihnen den folgenden, in welchem || ich mich gegen den mir sonst so werthen Du Prel wenden muß. Halben Jänner bin ich wieder in Wien und da wird Fritz Schultze von Grund aus studirt.

Hier bin ich im Moment in Wahlangelegenheiten, und wie ich damit zu Ende bin, gehe ich nach Wildhaus, das mich besonders lebhaft an Sie erinnern wird. Die Tage, die Sie mir dort geschenkt haben, gehören zu den schönsten meines Lebens, und haben mich an Sie gekettet für immer. Bleiben Sie mir immer so gut! Ich weiß nur zu gut, wie meine Leistungen Ihren Leistungen gegenüber verschwinden; aber das schwächt in nichts meine Überzeugung ab, daß wir ganz zusammen gehören.

Zum Schluß etwas, das Sie herzlich lachen machen wird. Königsbrun ißt täglich auch etwas Fleisch und gesteht, daß es ihm gut thut. Eine ziemlich empfindliche Abnahme der Kräfte hat ihn bestimmt, dem strengen Vegetarianismus zu entsagen.

Und nun nochmals von Fritzi und mir, verspätet aber aus dem Grund der Seele: Glückliches Neujahr!

In Liebe u. Treue ganz der Ihrige

B. Carneri

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
31.12.1882
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4618
ID
4618