Ella von Crompton an Ernst Haeckel, Groß Brütz, 31. Dezember 1918.
Jagdhaus, 31.XII.18.
Hochverehrte Excellenz,
am letzten Tage dieses entsetzlichen Unglücksjahres, in dem Alles entwürdigt und in den Schmutz getreten wurde, möchte ich Ihnen, hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, Alles Gute u. Liebe wünschen für 1919! Ein möglichst gesegnetes Neues Jahr!
Trautchen, Ihr kleines Patchen sendet Ihnen einliegendes kleines Lesezeichen, das sie mit viel Liebe u. Geduld mit ihren kleinen, lernbegierigen Fingerchen für ihren geliebten Adoptiv-Großpapa gearbeitet hat. Sie war so selig in dem Gedanken, Ihnen, liebster Herr Geheimrat, eins Ihrer Lieblingsgebilde auch schon arbeiten zu können. Bitte nehmen Sie es freundlich von ihr an.
Mein Weihnachtspaketchen haben Sie hoffentlich gut erhalten.
In den beiden letzten Nächten vor Weihnachten habe ich noch Trautchen ihre Puppen neu angezogen, daß sie doch etwas Freude hatte. Ihre Patin, die Gräfin von Rechteren, sandte ihr eine große Wickelpuppe (Friedensware) zum an- und ausziehen, mit wundervollen alten Erstlingssachen (gestrickt u. geklöppelt noch von der Urahne her, alte Erbstücke). Es ist doch so rührend von ihr, so lieb an unser kl. Sonnenscheinchen zu denken – und Trautchen hat nun ein kl. Kind, das sie sich so innig gewünscht, zum Waschen, Baden, Anziehen etc. Sie war ganz krieselig vor Freude u. für Minuten konnte man im Anblick der Kinderseligkeit vergessen, wie es um || uns Alle steht – – – – – Wie ist es jetzt eigentlich mit dem Verkauf der Villa Medusa? Ist der Kaufpreis schon gezahlt? Wird es nun schon verwaltet?
Wie geht es Ihren Kindern?
Mir sind auch wegen der Zustände 4 Pens. weggeholt, ohne Zahlung, die andern auch alle unsicher – Januar steht mir als Schreckgespenst bevor – – – kein Mensch kann mehr weiter – und nun soll erst noch mal das Frühjahr kommen – dann ist eine ärgere Hungersnot da – als im 30jähr. Kriege – ein gnadenloses Elend steht uns Allen bevor. Sind denn die ganzen Menschen verrückt geworden, sich unter die Herrschaft von solchen Juden zu stellen, wie Liebknecht, Luxemburg etc. Das sind Deutsche? Pfui – – – –
Doch verzeihen Sie bitte, liebster Herr Geheimrat. Aber es geht wirklich mit Einem durch – solche Schmach und Schande – bitte behalten Sie Trautchen und mich auch im neuen Jahr etwas lieb – das sind doch die einzig bleibenden Werte, ein paar Menschen, die einen wert halten u. lieb haben. Darum tausend Dank für all Ihre Liebe u. Güte, und besonders, daß ich Sie im August noch ein letztes Mal sehen durfte. Davon zehre ich mein Leben lang. Ein süßes Küßchen von kl. Trautchen. Eine Empfehlung von meinem Manne, in tiefster Dankbarkeit u. Ehrfurcht küsse ich Ihnen, liebster Herr Geheimrat, Ihre liebe gute Hand. Alles Gute u. Liebe
stets u. immer | Ihre Ihnen treu u. innigst dankbare Adoptivtochter
Elli von Crompton