Giltsch, Adolf

Adolf Giltsch an Ernst Haeckel, Jena, 12. September 1899

Jena, d. 12. Sept. 1899.

Verehrtester Herr Professor!

Vorgestern kam ich gerade bei Pohle recht, als er die Sammelmappen fortschicken sollte und erhielt dabei Ihre jetzige Adresse.

Ihren Brief vom 19. August erhielt ich von meinem Sohn Eduard über Salzburg nach München zugesandt und aufa diesem Umwege war so viel Zeit vergangen, daß ich Ihnen nicht mehr nach Zürich Antwort geben konnte. Ich ließ meinem Eduard die Probedrucke Hormiphora & Flustrab nach Leipzig senden und habe darauf verzichtet, sie erst zu sehen, weil ich erst am 28. August zurückkam und dabei doch 4–5 Tage verloren gingen, was ich im Interesse des baldigen Erscheinens vermeiden wollte. Einige Tage nach meiner Rückkehr nahm ich zunächst die Hexactinellen-Tafel vor, wobei ich leider noch 50 Stunden zu graviren || hatte, ehe die untern Figuren meinen Anschauungen genügten. Ich habe mehrere Abdrücke, auch auf Schreibpapier machen lassen, worauf ich die Tonplatten-Schattirung angeben will und dann sende ich Stein mit Original nach Leipzig, damit dort die Kreide-Tonplatte ausgeführt wird; es ist dies einfacher, damit die Abklatsche und alle Nebenarbeiten dort gemacht werden. – Die 4 Skizzen 31, Calocyclas – 32 c Stephanoceras – 36 d Aequoraea – u. 37 Discolabe, welche ich an das Bibliographische Institut gesandt hatte, waren zustimmend zurückgekommen. Nur die Calocyclas-Tafel soll für Zinkraster hergestellt werden (Jetzt scheinen die Leipziger nur dafür zu schwärmen, was bekanntlich früher das Gegentheil war). Ich muß natürlich das Original dazu in doppelter Größe malen, hierzu mußte ich aber erst schwarzen Karton in der nötigen Größe haben. Damit ich nicht immer die Arbeit habe, wurden gleich 12 Bogen fabrizirt; ich hoffe, daß die Manier des Weiße-auf-Schwarz-Malens noch öfter angewandt werden kann, namentlich für durchsichtige Geschöpfe; ich muß mich freilich erst daran gewöhnen und herausfinden was am besten wirkt. – Mittlerweile habe ich die Stephanoceras-Tafel zurückgestellt und || die Figuren umgezeichnet, sowie die Discolabe-Tafel angefangen. Diese beiden müssen zunächst fertig werden, während Aequorea & Calocyclas als Stich- u. Rasterätzung hinterdrein kommen. Von der Farrea-Tafel werdef ich Ihnen einen Abdruck ohne Ton unter Kreuzband senden.

– Meine Reise nach Salzburg und München ist bei schönstem Wetter verlaufen. Am 13. August Abends ¾6 Uhrg kamen wir in S. an. Sehr schönes Logis mit Aussicht über d. Salzach nach dem Kapuzinerberg. Am 14. August Montagh gleich nach Berchtesgaden und Königssee (Aufenthalt während der Rundfahrt zum Gang nach d. Obersee und in St. Bartholomä). Salzbergwerk nicht so gut wie Ilversgehofen bei Erfurt.

15. Aug. Zu Fuß auf den Gaisberg und zurück. Der Weg war teilweise abscheulich, weil der Zahnradbahn wegen gar nichts gethan wird, wir hatten aber noch recht gute Aussicht. – 16. Veste Hohensalzburg, Mönchsberg, Nachmittag Hellbrunn mit Wasserkünsten, Abends Concert im Restaurant z.i Elektrischen Aufzug (Radetyky-Kapelle) – 17. Golling – Salzau, Salzachöfen, Abends Bräustübl. – 18. (Ruhetag, Kaisers Geburtstag Domparade)j Stadtbummel, Nachmittags Kapuzinerberg und Umgang im Südosten bis zum Mönchsbergtunnel. 19. Ausflug nach Seeham zur Familie Reitter, Trummer, – Graben – u. Matt-See mit Bootsfahrt Selbst gerudert. 20. Sonntag mit der Ischler Bahn am Mondsee, || Crotensee vorüber zum St. Wolffgangsee. Bis Strobl den See entlanggegangen. Von da mit Dampfboot zurück nach St. Gilgen. Hier war Preis-Segelregatta, nur neu zu sehen. Der Schafberg war bewölkt, außerdem kostet die Zahnradbahn für 2 Personen c. 15 Mark, da sind wir lieber unten geblieben, zumal nach dem Dachstein zu dunstiges Wetter war; sonst aber diese Parthie herrlich und dem Königsee nicht viel nachstehend. – 21. nach München: Alte Pinakothek, Abends Deutschen Theater (prachtvoll). – 22. Semon’s Geburtstag, Vormittags Neue Pinakothek. – 23. Sezession, Sportausstellung, Abends Konzert Löwenbräukeller (Berliner Philharmoniker Orchester) – 24. Kunstausstellungsgebäude, Caffée Luitpold, Nymphenburg Bavaria, Hofbräuhaus. – 25. Glyptothek, Residenz, Nachmittags zu Semon’s (Prinz Ludwigshöhe) – 26. Neue Pinakothek (2. Mal), Schackgalerie, Prinzregentenstr. – Englischer Garten – Siegesdenkmal etc. Rathskeller. – 27. Parthie an den Kochel & Walchen-See. – 28. nach Jena zurück. Hundemüde. Es war wohl sehr schön, bei günstigstem Wetter; Erholung kann ich’s aber kaum nennen. Man muß eben das Reisen auch gewöhnt sein. Wenn man so aber immer bestrebt sein muß, der fortgehenden Unkosten wegen, alle Tage so viel wie möglich mit den Augen zu verschlingen, so hört beinahe der Genuß auf. In Salzburg hatten sich durch die Hitze und Eisenbahnzugluft meine Augen so entzündet, daß ich in der Nacht erst mit Wasser aufweichen mußte, ehe ich das linke Auge öffnen konnte. Nun, ich hab’s einmal mitgemacht und brauche mich vor meinen Kollegen etc. nicht nur als Philister zu schämen; das ist auch was werth. Jetzt habe ich mich wieder erholt. Bei Ihnen, lieber Herr Professor, ist das etwas anderes, Sie haben Ferienzeit und trotzdem können Sie auch noch Ihren Beruf durch zoologische Exkursionen erfüllen. Ich vermag aber nicht, mich von dem Gedanken zu befreien, daß meiner Reiserei eben doch nur Bummelei ist und das nimmt mir das Wohlbehagen. Ich freue mich wenigstens, daß ich diese 16 Tage ausgehalten habe. Ich wünsche, daß Sie Sich recht gründlich erholen und begrüße Sie als

Ihr ergebenster

Adolf Giltsch.k

Ihre glühende Verehrerin Frau Dr. Emmy Schäfer aus München (in deren Album Sie sich eintrugen) frug an, ob Sie nach München zur Naturforscher Versammlung kämen. Ich schrieb ihr, daß dies wohl nicht der Fall würde. Die gute Dame ist meine beste Postkartenlieferantin, meist aus Orten, wo mir noch Karten fehlen. Wenn Sie in Ajaccio vielleicht Postkarten finden, bitte ich Sie Ihren alten getreuen Giltsch auch einmal zu beglücken.l

a gestr.: unter; eingef.: auf; b eingef.: Hormiphora & Flustra; c gestr.: (?); d gestr.: (?); e eingef.: Bunt; gestr.: Bunt; f gestr.: letzteren Caloc.; eingef.: der Farrea-Tafel werde; g eingef.: ¾6 Uhr; h eingef.: Montag; i eingef.: z.; j eingef.: (Kaisers Geburtstag Domparade); k Text weiter am unteren Rand von S. 4 und 1: Jetzt … Giltsch.; l Text weiter am unteren Rand von S. 2 und 3: Ihre … zu beglücken.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.09.1899
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 454
ID
454