Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Carl Gottlob Haeckel, Freienwalde, 3./4. März 1861

Frw. 3/3 61.

Lieber Alter!

Du scheltest in dem gestern erhaltenen Briefe, daß wir nichts von uns hören lassen. So will ich denn den Fehler sogleich gut machen und Dir von dem jetzigen Status der 5 Würmer etwas erzählen. Am liebsten fange ich mit der Kleinsten an; das ist noch das liebe kleine Ding, in ungetrübter Unschuld. Es sieht Einen, wenn es auf der Madratze mit den Füßchen herzhaft strampelnd daliegt, mit den klaren blauen Augen so freundlich an, daß man unwillkührlich selbst heiter gestimmt wird. Sie hat wie die andern noch immer etwas Katarrh; sonst ist sie munter. In unserem Heinz regt sich dagegen der Eigenwille und Eigensinn gar stark. Er ist der „Geist, der stets verneint“, wenn man ihn irgend etwas fragt, wenn er irgend etwas thun soll pp. Und doch kann der kleine Kribbel- und Hitzkopf wieder sehr lieb und nett sein und sehr spaßhaft a in seinem Nachäffen der größeren Kinder, daß es recht zum Lachen ist. Im Essen u. Trinken, in seinem ganzen Thun hat er Karls Hast u. Ungeduld. Wie anders dagegen unser Nöllieschen, die Dicke, die übrigens bei stärkerem Wachsthum und wohl || auch weil sie etwas piepste, bedeutend schlanker geworden ist. Sie lernt jetzt bei Mutter etwas auf Strammin nähen, da das Stricken noch nicht anschlagen will. Bei allem, vorzüglich aber beim Essen, ist sie zur Zeit ein unvergleichliches Nölsuschen mit unendlicher Pomade ausgerüstet, so daß man recht oft dabei kribbelig wird. Aber noch beinahe übertroffen im langsamen Essen wird sie von dem Nölkaiser Hermann, der im Übrigen frisch u. offen fragt u. auf Spaziergängen mir ein lieber Begleiter ist. Seltner ist das bei dem verschlossenen Carl der Fall, der nur selten zu seinem Vortheil sich zeigt u. ordentlich aufthaut. Der Junge ist zu wunderlich. So hat er nie etwas davon erzählt, daß er in der Schule auch Gedichte lernt. Gestern kommt es ganz beiläufig heraus, daß er schon eine ganze Partie kann. Gegen die Geschwister ist er ein rechter Zerg- und Neidhammel und dabei selber so empfindlich, daß er nicht selten des Abends im Bett über etwas still für sich weint, was ihm am Tage quer gegangen ist, namentlich, wenn er glaubt, ihm sei Unrecht geschehen.

d. 4 Maerz

− Warum ich nicht geschrieben habe? – Es ging die letzte Woche etwas unruhig für mich zu. Wir hatten ein Konzert für den Louisen-Verein einzurichten u. dazu mancherlei Laufereien u. Vorbereitungen. Am Freitag, d. ersten || ging das Konzert recht nett von Statten: 2 Soprane Solosängerinnen (darunter Grieben’s Tochter), ein Violonist aus Berlin, der hiesige Pianist und ein Gesangverein, der schöne Chöre sang, wirkten dabei mit, gestern war zur Nachfeier der Gesangverein zu einem Kaffee im Bellevue versammelt; wir waren auch dort u. hörten mit vielem Vergnügen die Gesangstücke des Konzerts u. noch einige Solopiecen mit an. In dieser Woche ist ein Vortrag Loene‘s über die Herrnhutergemeinde u. am Sonnabend eine humoristische Vorstellung von Wriezener Turnern zum Besten unsrer Turnkasse, die gern auf diese Weise den nöthigen Fond zur Anschaffung eines Springpferdes b erhöhen will. – Außerdem haben wir unsre Leseabende, in denen wir jetzt das Thomas‘sche Buch gegen Stahl weiterlesen.

– Heute habe ich viel an Ernst gedacht den Vortrag hat er nun hoffentlich glücklich hinter sich. Das Quartier von dem Du mir schreibst finde ich aber gar nicht so übermäßig billig.

Nach Deinem Briefe muss ich annehmen, daß ihr erst am Donnerstag d. 4ten, zieht. Das kommt mir recht quer. Ich hatte auf d. 2ten gerechnet, u. diesen mir freigehalten, dagegen ebendeshalb mehrere Termine auf den 4ten gesetzt. Schreibe mir nun recht bald, ob Ihr mich jedenfalls wünscht; dann verlege ich die Donnerstag Termine und komme noch am Mittwoch Abend herüber. || Zwischendurch würde ich wohl nicht kommen. Die Militär-Etat-Debatte kommt doch erst nach Ostern vor; da arbeite ich lieber mal etwas im Zuge fort. –

Die Stenographischen Berichte über die Adreßdebatte habe ich jetzt durchgeblättert u. doch noch manches Interessante gefunden, namentlich Detail‘s über die Zustände in Posen.

Muttern wünsche ich fortdauernde Besserung, ebenso bei Jacobi‘s, wo wie Quinke uns schreibt, der Stickhusten herrschte. Quinke ist der Meinung, Mimmi soll‘s noch einige Wochen versuchen, ehe sie etwa zum Entwöhnen sich entschließt.

Herzlich Grüße an alle von

Deinem

Karl

NB. Die Abgeordneten, deren Wohnung ich für Dich nachsehen sollte, wohnen:

Camphausen, Jägerstr. 21 bei seinem Bruder

Kühne (Erfurt) Dessauerstr. 34a

v. Ammon, Schützenstr. 73.

Ernst bitte ich, den Ueberzug über Großvaters Bild nicht zu vergessen.

a gestr. sehr; b gestr.: samm

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
04.03.1861
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 44710
ID
44710