Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Landsberg an der Warthe, 19. April 1866

Landsberg W.

Donnerstag den 19 April 1866.

Liebe Aeltern!

Ich muß doch wieder schreiben; sonst geräth meine liebe Alte in Angst. Mit Mimmi ist es seit meinem letzten Briefe fortdauernd gut gegangen, sie stand am 9t Tage, – Dienstag – Vormittag ein Stündchen auf, war aber vernünftiger Weise wieder im Bett, als Mutter Minchen um 1 Uhr Mittags von Franckfurt ankam. Natürlich war großer Jubel unter den Kindern; ich hatte mich auch so eingerichtet, daß ich wenig oben auf dem Gerichte zu thun hatte. So haben wir denn Manches durchgesprochen, aber ohne unliebsame Themata zu berühren. Karl’s Hochzeit ist immer noch nicht genau festgesetzt. Nur daß sie in Berlin, nicht in Heringsdorf ist, steht fest. Die Hochzeit von Eduard Petersen mit Emma Bennecke ist den 3t Pfingstfeiertag (22. Mai), wahrscheinlich ist Karl’s Hochzeit erst Ende Mai. Dann werden wir wohl unsre Taufe in der Woche vor Pfingsten, kurz vor der Petersenschen Hochzeit ansetzen und hoffen, daß dann Oberförsters aus Ziegenort einige Tage bei uns herum kommen. Mit dem Platz wird sich’s machen. Ihr kommt in die Logirstube, Petersen’s und 2 Kinder unten in Ruks große Stube (unter unsrer Kinderstube) und 2 Kinder in eines unsrer Kinderbetten, zusammen. Emilie W. kann auf einem Sopha auskommen. ||

Mutter Minchen reiste nach 24 Stunden, gestern Mittag, weiter nach Schloettnitz und wird morgen von da nach Stettin und Heringsdorf gehen. Heute war Mimmi schon über Mittag auf und bis Dunkelwerden. Nachmittag hatte sie die ersten Besuche von Frau Sturm und Frau Boettger. Abends las ich ihr die stenographische Rede von Twesten in der ersten Berliner Wahlmänner Bezirks Versammlung vom 17t dieses Monats (siehe No 180 der Nationalzeitung 1ste Beilage) vor, die ganz trefflich die Situation gegenüber Österreich und das Mißliche einer ernsten Aktion unter Bismarcks Aegidi zeichnet. Die müßt Ihr lieben Alten alle beide genau lesen. Sie spricht aus, was man bei unserm Standpunkte in diesen wirren Zeiten auf dem Herzen hat. So wahrscheinlich mir ein Krieg mit Österreich ist, so wenig kann ich mir denken, daß er unter Bismarck’s Führerschaft zu irgend einem zuträglichen Ende führen könne. – Mir geht es so sacht fort, es bessert sich aber langsam; arbeiten kann ich wie sonst; auch der Appetit ist da; aber das kalte Wetter will mir nicht behagen. Wir haben auf Gericht und zu Hause wieder heizen müssen. – Die Kinder sind munter. Von Karl lege ich 2 Briefe bei. – ||

20st

Eben habe ich mir den „Namenlosen“ mich recht genau besehen; er hat doch schon ein ganz manierliches niedliches Gesichtchen, das einen netten Ausdruck hat, ein Kerderchen unterm Kinn und große dunkelblaue Augen. Mimi meint in der Kräftigkeit sei er dem Hermann, wie er so klein war, ähnlich, nicht so knochig wie Georg. Das meint auch der Arzt.a

a Text weiter am linken Rand von S. 1: 20st …der Arzt.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
20.04.1866
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 44690
ID
44690