Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Carl Rohrbach, Meran, 15. September 1862

Meran 15.9.62

Lieber alter Freund!

Sie können sich meine Überraschung ausmalen, als ich heute beim Erbrechen eines Briefes meiner Eltern den Ihrigen eingelegt fand, der mich nicht in Jena, sondern auf der schönen Hochzeitreise erreicht hat, auf der ich nun schon seit vier Wochen begriffen bin. Ich eile, ihn ungesäumt zu beantworten, um so mehr, als ich hoffe, dadurch Ihrem Patienten noch einen guten Dient zu leisten. Ich würde Ihnen nämlich dringend rathen, denselben in das Landkrankenhaus zu Jena aufnehmena zu lassen, da er dort jedenfalls die beste chirurgische und medicinische Behandlung findet, die er sich nur wünschen kann. Unser Chirurg, Professor Ried, ist ein ganz ausgezeichneter Arzt und wird jedenfalls || das Mögliche leisten, was überhaupt in einem so schlimmen Falle geschehen kann. Die Bedingungen der Aufnahme sind mir allerdings nicht bekannt; indeß glaube ich, daß außer den Weimarischen Landeskindern auch andere (und gerade solche schweren Fälle) unentgeltlichb aufgenommen und verpflegt werden. Ich glaube, Sie thun am Besten, sich deßhalb direct mit einer brieflichen Anfrage und kurzen Angabe des Falles an „Die Direction des großherzoglichen Landkrankenhauses zu Jena“ zu wenden, welche von Hofrath Prof. Ried selbst (im Vertretungsfalle von Prof. Gerhard) geleitet wird. Da Beide meine befreundeten Special-Collegen sind, können Sie sich direct auf mich berufen. Sobald ich nach Jena zurückgekehrt bin (in 14 Tagen), werde ich mich selbst an Ort und Stelle nach dem Patienten umsehen. ||

Von Ihrem Schicksal etwas Näheres zu hören, hat mich außerordentlich erfreut; Einiges namentlich Ihre glückliche Verheirathung, hatten mir schon meine Cousinen, Ihre treu ergebenen Schülerinnen, mitgetheilt. Hören Sie nun auch Einiges von meinem Leben. Mai 1858 verlobte ich mich, unmittelbar nach Johannes Müllers Tode, der für mich der schwerste Schlag war. Von Januar 1859 bis c April 1860 war ich höchst glücklich in Italien, dem Ziel meiner Reise-Wünsche, den Sommer größtentheils in Neapel und Capri, den Winter 6 Monat in Messina. Hier d untersuchte ich speciell die äußerst zierlichen kieselschaligen Radiolarien, mikroskopische, den kalkschaligen Polythalamien nächst verwandte (aber viel schönere und gestaltenreichere) Rhizopoden, von denen ich fast doppelt so viel neue Arten auffand, als bis dahin lebend waren beobachtet worden. Die 2½ Jahre seit meiner Zurückkehr war ich fast ausschließlich mit einer monographischen Bearbeitung dieser reizenden Bestien in möglichst erschöpfender Weise beschäftigt. || Jetzt endlich ist diese Monographie der Radiolarien (bei Georg Reimer im Verlag) vom Stapel gelaufen, ein stattliches Opus von 560 Seiten Folio, mit 35 prächtigen Kupfertafeln. Auf Grund dieser Arbeit wurde ich e letzten Pfingsten in Jena (wo ich mich Ostern 1861 habilitirt hatte) zum Professor extraordinarius und Director des Zoologischen Museums ernannt, und auf Grund dieser Stelle habe ich mir am 18 August mein liebes kleines Frauchen heimgeholt. Ich lese im Winter Zoologie und Histologie, im Sommer Osteologie und Syndesmologie. Meine Verhältnisse in Jena sind äußerst angenehm (nur nicht finanziell! Ich bekomme nämlich „Ein“hundert rℓ Gehalt). Wie nett Alles dort ist, müssen Sie sich nächsten Sommer in Jena selbst ansehen, wo ich bestimmt hoffe, daß Sie f es mit Ihrer lieben Frau besuchen werden. Wir haben ein sehr nettes Logirzimmer mit 2 Betten! Ich denke, wir bleiben recht gute getreue Nachbarn.

Mit herzlichem Gruß

Ihr alter treuer Haeckel

Unsere sechswöchentliche Hochzeitreise erstreckt sich auf Salzburg, Tyrol, Müncheng

a korr. aus: aufznehmen; b korr. aus: unentgeldlich; c gestr.: M; d gestr.: entde; e gestr.: z; f gestr.: mich; g Text weiter am linken Rand von S. 4: Unsere … München

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.09.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 44195
ID
44195