Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Ziegenrück, 20. Januar 1854, mit Nachschrift von Adolph Schubert

Ziegenrück 20 Januar 54.

Mein lieber Ernst!

Deinen lieben Brief vom 15ten haben wir gestern erhalten und danken Dir für Deine Glückwünsche. Christian, Adolph Schubert und ich sind am 16ten Mittags 2 Uhr wohl behalten hier angekommen und haben alles wohl gefunden. Am 17ten ruheten wir uns aus und vorgestern den 18ten war der Tauftag. Die Taufe war mittags 1 Uhr, der Superintendent verdarb nichts. Gegen 2 Uhr setzten wir uns zu Tisch und gingen erst Abends zwischen 7–9 Uhr auseinander. Es waren 14 Personen bei Tisch.a H. Lindig stand auch Pathe, die Frau Doktor, Vater Christian, ich, Adolph, die übrigen Pathen waren abwesend. Der kleine Kerl ist lebendig und kräftig und spielt hier die Hauptrolle. Früh wird er gebadet, wobei wir zugegen sind, er sieht aus wie eine Füllwurst, hat sehr hübsche blaue, muntere Augen, und bewegt fast in einem fort Hände und Beinchen. Das Baden läßt er sich sehr wohl gefallen; wenn man mit ihm spricht, besonders die Mutter, so giebt er hin und wieder Töne von sich, als wollte er sprechen, lacht und ist freundlich und ergötzt uns so ganz höchlich; und so besehn wir ihn denn wohl des Tags über ein halb Dutzend mahl. Die Brust läßt er sich wohl schmeken. Wir leben hier sehr gemüthlich zusammen, plaudern, gehn spatzieren, Abends wird eine Partie Whist gemacht. Das Wetter ist ungemein schön, milde und heller Sonnenschein, nicht viel Schnee, die Schlittenbahn ist zu Ende. Wir hatten uns auf dieser Reise vor großer Kälte, Schneewehen etc. gefürchtet, das alles aber ist nicht eingetreten, wir haben unterwegs wenig Schnee gefunden. Mutter ist ziemlich wohl, sie hat etwas Ausschlag im Gesicht und hinter den Ohren. Ich bin sehr froh, daß ich sie wieder habe und mit nach Hause nehmen kann. Die Gemüther sind so zusammengewachsen, daß mir etwas Wesentliches fehlt, wenn sie nicht bei mir ist. In Berlin ist alles wohl, der kleine Ankömmling ist auch dort das Gespräch des Tages. Grosvater hatte von selbst den Einfall, die schöne Taufdeke, unter welcher seine Kinder bei der Taufe gelegen haben, aufsuchen zu laßen und mit hieher zu geben, sie ist über 100 Jahr alt und schon durch mehrere Generationen gegangen. Dem Kleinen mußte ein Stöpselchen in den Mund gegeben werden, damit er während der Taufe still war. Dieser Akt hat für mich etwas sehr bedeutendes. Es will etwas sagen: eine junge Seele dem Christenthum zu überweisen. Das begreift der am besten, der die Geschichte kennt und weis, was das Christentum auf der Erde gewirkt hat und so habe ich denn in aller Andacht mein Bekenntniß für ihn abgelegt. Die Wirkungen des Christenthums auf der Erde werden immer sichtbarer, immer mehr verbreiten sie sich auf allen Theilen der Erde, immer mehr erziehen sie das Menschengeschlecht und schon jetzt ist eine Wechselwirkung der Völker auf einander eingetreten, von der man früher keine Ahnung hatte. Sie wird immer größer und das Christenthum zuletzt Welt-Religion werden. Der Verkehr z. B. zwischen Europa und Nordamerika ist ungeheuer. Von Berlin gehn täglich 90.000 Briefe auf der Route nach Cölln ab, die zum Theil bis Cölln abgesetzt, von Cölln aus aber weiter nach Frankreich, England, Amerika und Australien spedirt werden. Aus Nordamerika kommen wöchentlich 12 000 Briefe in Berlin an, die von da aus weiter vertheilt werden. Der junge Reimer (der Seemann) kommt in diesen Tagen nach Berlin zurük. Er hat 6 oder 8 Mahl die Linie paßirt, ist 2 Mahl in China gewesen. Die Sunda Inseln im indischen Archipelagus (so schreibt er) sind das schönste, was er gesehen, Himmel, Klima und Vegetation. Als er an die malabarische Küste gekommen, hat er eine ganz neue Welt gefunden, ganz andre Menschen (die Hindus) die schönsten Cedern und die Hauptarbeiter sind nicht Menschen, sondern die Elephanten gewesen, welche die meisten Arbeiten mit der größten Geschiklichkeit verrichten. Ich werde mir recht von ihm erzählen laßen und dann will ich Dir möglichst viel mittheilen.

Dein letzter Brief kehrt wieder einmal die dunkeln Seiten Deiner Ansichten heraus, er starrt voll schwarzer Striche. Du lebst noch immer zu sehr in extremen Stimmungen, das wird sich mit der Zeit wohl geben. Deine Verzweiflung über das Rescript des Kultus- || Ministers, das Dir die Aussicht zum Privatdocenten verbauen soll, ist keineswegs begründet. So ein Ding geht in die Welt und es wird dann davon so viel modificirt, bis nicht mehr viel übrig bleibt. Unsere jetzige Regierung schlägt die Natur der Dinge so mit Fäusten ins Gesicht, daß wenig b von ihren Schöpfungen übrig bleiben wird. Die Natur wird sich rächen und jene Schöpfungen werden wie Seifenblasen auseinanderfallen. Ich kann jene Maasregel nicht so genau beurtheilen, sie schmekt aber wie fast alle übrigen nach Monopolisirung und Privilegien, von

der freien Entwikelung der menschlichen Kräfte und was diese bedeutet, hat diese Regierung keine Ahnung und grade diese Entwikelung spielt jetzt die Hauptrolle in der Weltgeschichte. Sie ist dieser stokbornirten Regierung ein Gräuel. Also sei nur unbekümmert. Freund Weiß meint, Du sollst nur den Weg zum Profeßor immer ruhig fortwandeln. Da wirst Du aber freilich noch viel zu lernen haben und bei deinem Fleiß kann es nicht fehlen, daß Du etwas ordentliches lernen wirst. Ferner kümmere Dich nicht wegen des Herkommens zu Ostern, ich werde alles thun, daß Du nicht abgerufen wirst. Sollte dieses nicht zu bewirken sein, so kommst Du auf ein Paar Tage nach Berlin um Dich zu stellen und kannst dann sogleich als dieses geschehen ist, wieder abreisen. Wir wollen Dich in Deinen Studien nicht stören. Und so arbeite nur fleißig fort und mache Dir keine Sorgen für die Zukunft. Montag früh den 23sten wollen wir Christian, Adolph, Mutter und ich von hier abreisen und gedenken Abends in Berlin einzutreffen. A dieu mein lieber Ernst. Den nächsten Brief erhältst Du aus Berlin.

Dein Dich liebender Vater Hkl

Carl und Mimi danken aufs herzlichste für Deinen Brief. Carl hätte Dir gern geschrieben. Da er aber jetzt viel Störungen hat und Arbeit dazu, so ist ihm dieses nicht möglich.

Wir haben am Tauftage Deiner sehr fleißig gedacht.

[Nachschrift von Adolph Schubert]

Die herzlichsten Grüße von Deinem treuen Vetter

Adolph.

Ziegenrück 19 Januar 1853

a eingef.: Es waren … Tisch.; b gestr.: da

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
20.01.1854
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 44124
ID
44124