Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Heinrich Eggeling (Kurator), Jena, 26. März 1894

Abschrift

Bericht über die Errichtung einer | Ritter-Professur für Paläon-|tologie und Geologie

Jena, den 26. März 1894.

Hochgeehrter Herr Curator!

Bei Gelegenheit der Berathungen, welche die philosophische Fakultät kürzlich über die Wiederbesetzung des bisher von Professor Dr. E. Kalkowsky innegehabten Lehrstuhls für „Mineralogie und Geologie“ abhielt, wurde einstimmig das Bedürfniß anerkannt, für die Vertretung dieser beiden Naturwissenschaften durch zwei verschiedene Lehrkräfte zu sorgen. Schon vor zehn Jahren war bei der gleichen Gelegenheit dieses dringende Bedürfniß betont und darauf hingewiesen worden, daß die fortgeschrittene Arbeitstheilung und die stetig wachsende Bedeutung der geologischen Disciplinen bereits an den meisten Universitäten zu einer Zweitheilung geführt habe.

In der That haben nicht allein die Ziele und Aufgaben, sondern auch die Methoden und Arbeitsrichtungen in den beiden Hauptzweigen der descriptiven Geologie (Mineralogie und Petrographie) einerseits, und der historischen Geologie (Paläontologie und Geogenie) andererseits, sich dergestalt divergirend entwickelt, daß es nicht mehr möglich ist, die vollständige Vertretung || dieser beiden umfangreichen Wissenschaften in einer einzigen Hand zu vereinigen. Dem entsprechend wurde denn auch kürzlich von der philosophischen Fakultät einstimmig der Beschluß gefaßt, zwar dem statuarischen Herkommen entsprechend für den erledigten Lehrstuhl der „Mineralogie und Geologie“ einen Ordinarius zu berufen, daneben aber noch einen Extraordinarius mit einem bestimmten Lehrauftrag für Paläontologie und historische Geologie anzustellen. Für diese letztere Stelle war die zu berufende Persönlichkeit unmittelbar gegeben in dem höchst talentvollen und productiven Dr. Johannes Walther, der seit acht Jahren an unserer Universität thätig ist und durch eine Reihe origineller und umfassender Arbeiten sich auf das Vortheilhafteste ausgezeichnet hat. Derselbe ist durch seine vorzügliche biologische Vorbildung, wie durch seine großen Reisen in vier Welttheilen, ganz besonders zur Vertretung der allgemeinen und historischen Geologie, wie der Paläontologie befähigt; er sein hervorragendes Lehrtalent ist anerkannt.

Der von der philosophischen Fakultät geäußerte Wunsch, dieser neuen Professur für Paläontologie und Geologie eine dauernde Bedeutung und selbständige Stellung zu schaffen, || scheiterte zunächst an dem Mangel an disponiblen Mitteln. Dieser Umstand führte mich zu der Erwägung, ob es nicht angemessen sei, als Gehalt dafür eine bestimmte Summe aus dem Ertrage der Paul von Ritter’schen Stiftung für phylogenetische Zoologie auszusetzen; denn diese letztere Wissenschaft betrachtet ja die Paläontologie als ihre wichtigste Quelle.

Herr Dr. Paul von Ritter in Basel hat heute auf eine bezügliche, von mir an ihn gerichtete Anfrage erklärt, daß er meine Ansichten vollkommen theile, und daß er damit einverstanden sei, daß aus den Zinsenertrage seiner Stiftung die gewünschte Dotation zur Errichtung einer „Ritter-Professur für Paläontologie und Geologie“ entnommen werde.

Demgemäß erlaube ich mir hiermit den Antrag zu stellen, daß aus dem Ertrage der Paul von Ritter’schen Stiftung für phylogenetische Zoologie alljährlich nächst der bereits acht Jahre bestehenden ersten „Ritter-Professur für Phylogenie“ nunmehr eine zweite „Ritter-Professur für Paläontologie und Geologie“ dotirt werde, und zwar mit einem Jahresgehalt von 1200–1500, eventuell bis 2000 Mark. Die sofortige Uebertragung dieser || neuen Professur auf Dr. Johannes Walther ist mit der Bedingung zu verknüpfen, daß derselbe, als zweiter Ritter-Professor, abwechselnd mit dem ersten jedes zweite Jahr im Monate Mai (oder Juni) in der akademischen Aula eine öffentliche „Ritter-Vorlesung“ hält, unter denselben Bedingungen, unter denen bisher der erste Ritter-Professor alljährlich eine Rede gehalten hat.

Mit vorzüglicher Hochachtung

(gez.) Professor Dr. Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
26.03.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
LATh-StA Gotha
Signatur
Staatsministerium, Dep. I, Loc. 6 o, Nr. 20, Bd. 1, Bl. 172r-173v
ID
43314