Stakemann, Johanna

Johanna Stakemann an Ernst Haeckel, Berlin, 13. Februar 1909

Berlin. 13t Februar 1909.

Hochverehrter Herr Professor,

In diesen denkwürdigen Tagen, wo alle Zeitungen voll sind von der Feier in Jena u. wo Ihr Name, hochverehrter Herr Professor, von den Lippen eines jeden gebildeten Menschen mit Dank u. Verehrung genannt wird, möchte auch ich in der großen Schar Ihrer Bewunderer nicht fehlen u. Ihnen aussprechen, wie sehr ich in innerster Seele teilgenommen an allem, was diesen Abschnitt in Ihrem Leben u. für die Universität Jena betrifft, || wie sehr ich wünsche, daß Ihr arbeitsreiches Leben durch einen langen glücklichen arbeits- und schaffensfrohen Lebensabend gekrönt sein möchte verehrter Herr Professor, u. daß ich Sie bitten möchte, mir doch mitteilen zu wollen, wie u. wo u. in welcher Weise ich für mein bescheidnes Teil dazu beitragen könnte, Ihre großen bahnbrechenden Ideen weiter zu verbreiten u. dafür zu wirken, daß das Licht, welches Sie angezündet, seine Strahlen bis in die entferntesten dunkelsten Winkel des Aberglaubens u. der Unwissenheit verbreiten möchte.

Wenn der Meister das Werkzeug niederlegt, womit er einen stolzen Bau gegründet; ||

muß die Schar seiner Jünger die Arbeit aufnehmen u. seine Gedanken weiter tragen, – dies wenigstens scheint mir die beste Ehrung seines Namens zu sein.

Bin ich auch nur, wie man zu sagen pflegt, – eine Frau, so habe ich doch durch meine sehr lange schriftstellerische Tätigkeit für die Tagespresse ein wenig Fühlung mit der Oeffentlichkeit, u. auch in pädagogischen Schriften könnte ich ev. für diese Ideen wirken. –

Und nun noch eins u. die Bitte, es mir nicht zu verargen, wenn ich, obschon ich Ihnen, verehrter Herr Professor, persönlich unbekannt bin, einen Wunsch ausspreche: Ich las kürzlich, || über Darwin, daß er am Abend seines Lebens geäußert habe: „eins nur bedaure ich, daß ich so wenig Gelegenheit gehabt habe, meinen Mitmenschen so wenig direkt Gutes zu erweisen.“

Dies Wort hat mich tief ergriffen, umso mehr, als von orthodoxer Seite in Berichten der Ueberzeugung stets behauptet wird, daß das ganze Weltengesetz u. alle Moral u. alle Nächsten- und Menschenliebe zusammenstürzen u. begraben werden müßten, wenn die verderbenbringende Darwin-Lehre in den Köpfen der Menschen Wurzel fassen sollte.

Ich glaube vielmehr, daß Sie, verehrter Herr Professor, ebenso wie || Darwin denken, u. daß ich keine Fehlbitte tue, wenn ich Ihnen nahe lege, mir doch hier in dieser großen Stadt, einige Anknüpfungen verschaffen zu wollen, indem Sie mich an einflußreiche Persönlichkeiten weisen, die bereit sein würden, sich einer alleinstehenden Dame ein wenig anzunehmen u. meine Interessen zu fördern.

Hierdurch würden Sie wirklich etwas Gutes schaffen, verehrter Herr Professor, u. mich zu herzlichem Dank verbinden.

Seit dem Tode meines Onkels Dieterici, Professor der orientalischen Sprachen, an der Universität Berlin, bin ich ganz von allem Verkehr losgelöst, u. leider gehören ja zu || allem Vorwärtskommen in der Welt, nicht nur in literarischer Richtung, sondern überall sonst auch, „Menschen u. immer wieder Menschen.“

Vor Jahren sandte mir, gelegentlich eines persönliches Besuches in Jena, Professor Eucken beifolgende Karte, die ich um deswillen beifüge, u. um deren Rücksendung ich bitte, – weil Sie, verehrter Herr Professor, dadurch ein wenig über meine Interessen orientirt sind.

Und nun verzeihen Sie die Inanspruchnahme Ihrer kostbaren Zeit.

Sehr glücklich wäre ich, wollten Sie mir eine Antwort zukommen lassen.

Mit dem ||

Ausdruck meiner innigsten Verehrung,

Ihre ergebene

Verw. Frau Oberleutnant Johanna Stakemann.

Briefadresse: per Ad. Justizrat u. Notar

Crome. S.W. Bellealliancestrasse 91.

Zu Ihrer Bequemlichkeit, verehrter Herr Professor, füge ich gleich ein adressiertes Kuvert bei.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.02.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 42689
ID
42689