Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Bölsche, Jena, 12. Januar 1917

Jena 12.1.17.

Lieber Freund!

Besten Dank für die freundliche Zusendung Deines hübschen geographischen Lesebuches: „Neue Welten“. Ich hatte eines bereits, als es mir zur Ansicht zugeschickt wurde, in 2 Exemplaren für 2 Nichten von mir (zu Weihnachtsgeschenken) bestellt. Nun habe ich es mit Freuden Abends, wenn ich arbeitsmüde bin, durchgelesen und mich in die schöne Jugendzeit vor 60 und 70 Jahren zurückversetzt, wo ich mit Begeisterung Humboldt, Darwin, Forster u.s.w. studierte. – Falls Du in einer eventuellen Fortsetzung dieser dankenswerten Sammlung auch mir die Ehre erweisen willst, aus meinen „Indischen Reisebriefen“ (Ceylon) oder den „Malayischen“ (Insulinde) ein Kapitel einzufügen, steht Dir selbstverständlich Alles gern zu Diensten. ||

Von dem freundlichen Lebensbilde, das Du von mir gezeichnet hast, hatte ich mir bei dem Verleger (Bong) auch mehrere Exemplare für Weihnachts-Geschenke bestellt, erhielt aber zur Antwort, daß es vollständig vergriffen sei. –

An den freundlichen Besuch, den Du mir in meiner einsamen Klosterzelle im Dezember abgestattet hast, denke ich mit herzlichem Vergnügen zurück, ich hoffe sehr, daß Du ihn bald wiederholst und ich Dir dann neue Schönheiten unseres lieben Saaltals vor Augen führen kann. Da ich jetzt allein in Villa Medusa hause und meine dienstbaren beiden Hausgeister trotz aller Ernährungsnot des Weltkrieges gut für mich sorgen, bist Du als lieber Gast jederzeit willkommen! ||

Eine Unterbrechung meines gewohnten Eremiten-Lebens brachten 14 Tage Weihnachtsferien, die ich bei Hans Meyer in Leipzig zubrachte. Meine Tochter Lisbeth feierte dort am 21.12. ihre silberne Hochzeit; und 10 Tage später folgte die grüne Hochzeit ihrer ältesten Tochter Else (22 Jahr alt); Zu Neujahr fand ihre Kriegstrauung mit Rudolf Hantzsch (26 J.) statt, Ingenieur und Flieger Leutnant, Sohn des Chemikers in L.

Das junge Paar genießt jetzt ein paar Flitterwochen im Bayrischen Gebirge u. bezieht dann das „Flieger-Lager“ (– scherzhaft als „Wallenstein’s Lager“ bezeichnet –) auf dem Lechfelde bei Augsburg, wo H. Instruktions-Unterricht für Flieger erteilen soll (– auch ein neuer militärischer Beruf! –). Ich verliere durch die Heirat von Else die liebenswürdige und begabte Hausgenossin, die nach dem Tode meiner lieben Frau 1½ Jahre mit mir Radiolarien-Studien trieb! – ||

Das schöne Gedenkbuch „Im Lande Goethes“ habe ich in Folge Deiner gütigen Vermittlung erhalten; herzlichen Dank! – Daß Du meinen Wunsch, das Praesidium unseres Monistenbundes zu übernehmen, nicht erfüllen konntest, habe ich im Interesse der guten Sache sehr bedauert; ich begreife aber die von Dir angeführten Gründe der Ablehnung vollständig; ich halte es jetzt, angesichts der ungünstigen Zeit Verhältnisse, auch für das Beste, daß der vacante Präsidenten-Posten einstweilen offen bleibt.

Für das begonnene Neue Jahr 1917, dessen dunkler Vorhang tausend schwierige Räthsel-Fragen in seinen Falten birgt, wünsche ich Dir und Deiner lieben Familie von Herzen alles Gute!

Mit freundlichen Grüßen

treulichst Dein alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.01.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Friedrichshagen bei Berlin
Besitzende Institution
Biblioteka Uniwersytecka we Wroclawiu
Signatur
Handschriftenabteilung, Böl.Hae.177
ID
42392