Ernst Haeckel an Wilhelm Bölsche, Jena, 22. August 1916
Jena 22. August 1916.
Lieber Freund Bölsche!
Deinen freundlichen Gruß aus dem Isergebirge erwidere ich von Herzen; freue mich, daß Du mit Deiner lieben Familie die schöne Sommerfrische im Riesengebirge recht genießt. Der ewig frische Genuß der unerschöpflichen „Gott-Natur“ ist in dem trüben Chaos des jetzigen entsetzlichen Weltkrieges immer der beste Trost! –
Ich erfreue mich in diesem Sommer ganz besonders an der üppigen Vegetation unseres schönen Saaltals und genieße täglich meinen kleinen Garten. Auch habe ich wieder mit Lust aquarelliert und kleine Ausflüge in unsere malerische Umgebung gemacht, soweit es die elektrische Bahn gestattet. Reisen kann ich ja leider nicht mehr. || Wenn Du im Herbste in die Nähe von Jena kommst, würde mich Dein Besuch hier natürlich sehr erfreuen! Im September ist mein Sohn hier, um die Ordnung meines Nachlasses und des Phyletischen Archivs, die mich seit 3 Monaten beschäftigt, zu vollenden. Dr. Heinrich Schmidt ist jetzt auch offiziell als Archivar angestellt und richtet die beiden neuen Archiv-Räume ein, die mir die Weimar. Regierung in der erweiterten Univers.-Bibliothek zur Verfügung gestellt hat.
Dr. H. S. arbeitet fleißig an seiner „Geschichte der Entwicklungslehre“, von der der erste (allgemeine) Teil 1917 erscheinen soll. Mit meiner Gesundheit geht es (– trotz der „Aushungerung“ des verdammten England! –) leidlich; doch nehmen die Kräfte ab; Ich rüste mich getrost zur „Nirwana“ Reise! Hoffentlich vorher auf „Frohes Wiedersehen"!
Treulichst Dein alter
Ernst Haeckel.