Engelmann, Emma

Emma Engelmann an Ernst Haeckel, Berlin, 10. November 1911

BERLIN W. 15

KNESEBECKSTRASSE 52/53.

10. November 1911

Liebe Excellenz,

Ihre gütigen Zeilen, aus denen warme Freundschaft und herzliche Antheilnahme spricht, sind mir ein großer Trost, und ich danke Ihnen von Herzen dafür. Bei Ihrem Interesse für unsere Verlags-Angelegenheit darf ich Ihnen wohl noch einiges darüber mittheilen. Den Prozeß || können wir aus formellen Gründen nicht gewinnen, weil zur Ausschließung Dr. Reinicke’s der einstimmige Beschluß aller Geschäfts-Theilhaber erforderlich ist. Meine Schwägerin, Frau v. Bezold, hat sich aber aus „Pietäts“-Sentimentalitätsgründen (weil Dr. R. 40 Jahre in der Firma arbeitet) unserer Klage nicht angeschlossen. Wir haben aber durch den Prozeß die Schäden aufgedeckt und Klar-||heit gebracht; die Theilhaber werden am 1. Juli 1912 ausscheiden, und dann wird Herr Dr. R. keine Lust haben, mit Willy und Hans im Geschäft zu bleiben; dies hoffen wir! Wie würde mein lieber Mann über die langjährige Unredlichkeit des Geschäftsleiters, dem er größtes Vertrauen schenkte, bekümmert sein! –

Mit einigem Bedauern höre ich von Ihnen, daß Ihre Gesundheit sich noch nicht gebessert hat. Sie || waren für uns immer das Bild von Kraft und Jugend; in Wildungen blickte Willy mit Stolz auf Ihren Gang und sagte: „Da geht nun mein lieber alter Haeckel wie ein Jüngling“! An glänzende Erscheinungen sollten nicht Beschwerden des Alters herantreten. „Wenige Schritte auf 2 Stöcken und mit Schmerzen“ macht mich ganz traurig. Ich denke an frühere glückliche Stunden: Felsenkeller in Jena, wo wir || in so fröhlicher Stimmung beisammen waren, daß ich nur die Lust des Lebens empfand. Und jetzt. Mein lieber Willy mit seiner warmen Seele fehlt mir jeden Tag mehr. Sein Nachfolger hat es nicht nöthig gehalten im Physiologischen Institut oder in der Leibniz Sitzung Willy’s zu gedenken, anstatt auf diesen hielt er eine Gedächtnißrede auf Robert Koch. Und fragt || man nach dem Grunde? Kleinliche Eitelkeit, weil Willy Herrn R. nicht als seinen Nachfolger vorgeschlagen hatte. Manches könnte ich Ihnen noch von dieser Seite erzählen, aber es ist besser nicht; denn die hohe Intelligenz erweist sich in diesem Fall wie leider so häufig als Seelenplebs. Reine Zwecke, reines Herz, vornehme Gesinnungen – wie selten findet man sie! – ||

Sie fragen so freundlich nach meiner Gesundheit. Sie hat sich trotz aller Gemüthserschütterungen gebessert, wenn das alte Übel auch noch nicht ganz beseitigt ist. –

Erhalten Sie mir Ihre freundschaftliche Gesinnung – darum bitte ich Sie, und erlauben Sie meinem jüngsten Sohn Hans, sich Ihnen einmal in Jena vorstellen zu dürfen. Ich möchte || Ihnen gern über den weiteren Verlauf der Leipziger Sache ab und zu Nachricht geben.

In herzlicher Verehrung

Ihre

treu ergebene

Emma Engelmann.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
10.11.1911
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 4226
ID
4226